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"Glanz und Elend"

Ein Kursus in Wundern:
Nachlese zu den 50. Internationalen FilmFestspielen Berlin

Kann man aus solchem Elend Kunst machen ? Fred Kelemen kann. Nach "Verhängnis" und "Frost" ist er unter den deutschen Filmemachern der Experte für's Katastrophale, für lange Blicke auf unerträgliche Lebensverhältnisse. Sein neuer Film "Abendland" hat 2,6 Mio. DM kosten dürfen. Deshalb kommt das Elend der Überflüssigen jetzt altmeisterlich daher, in wunderbar gedeckten, kostbar verblichenen, abbröckelnden Farben. Licht wie von altem Honig. Und nachts gleitet ein Schiff mit Lichtern vorbei am Fenster.

Vor dem Fenster: er und sie. Er arbeitslos, wortkarg, verbittert - ihr geht er auf die Nerven. Getrennt ziehen die beiden durch die Nacht: er von einer düsteren Kaschemme in die nächste, sie probiert's derweil mit anderen Männern, mit katastrophalen Ergebnissen.

Die Stadt, durch die die beiden vagabundieren, hat nichts zu tun mit Halle-Neustadt oder gar Berlin-Mitte. Es ist eine Stadt aus einem Albtraum, in dem die Zeiger von den Uhren fallen: keine Verkehrsschilder weit und breit, keine Werbung, stattdessen abbröckelnde Fassaden, schmutziges Kopfsteinpflaster, matschige Wege. Und immer nur spärliches Licht, stets geschmackvoll plaziert.

In und mit diesem Elend kann man's, als Zuschauer jedenfalls, wunderbar aushalten, zumal Kelemen es mit gefühlvoller Musik unterlegt, sehnsuchtsvollen Liedern, mit portugiesischen fados vor allem.

Kelemen tut etwas, was offenbar sein muß: Um das Elend der Überflüssigen im Kino überhaupt darstellen zu können, muß er es als Quelle ästhetischen Genusses erschließen. Wenn wir das Leiden schon nicht beseitigen können und es nicht verdrängen, nicht wegschauen wollen: dann soll uns das Elend der anderen doch wenigstens ein bißchen Freude machen. Oder ?

Kraft Wetzel, "FREITAG", 3. März 2000


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