»
Portugiesische Kinemathek | Originaltext: Antonio Rodrigues |12.
April 1997 Regisseure für das XXI. Jahrhundert - Fred
Kelemen Wie "Fate" ist "Frost" ein Film der absoluten Dunkelheit, eine Reise ohne Hoffnung und ohne Rückkehr, eine Reise, an deren Ende abrupt das Scheitern auftaucht, gerade dann, als alles bereits so aussieht, als ginge es zurück zum Ausgangspunkt. Kelemen greift auf seine Weise das Thema wieder auf, das dem zeitgenössischen Film so teuer ist: das Wandern von Protagonisten am Abgrund. Jedoch reisen die Protagonisten aus "Frost" fast immer zu Fuß, was jeden Manierismus eines road movie aus dem Film verbannt und somit der Irrfahrt dieser Frau und ihres Sohnes fast den Anschein einer langen Via Crucis verleiht, der dadurch verstärkt wird, daß die Geschichte in der Weihnachtsnacht beginnt und die Sequenz, in der beide in die Kirche gehen (es gibt nicht mehr Hoffnung auf Gott als in die Welt), betont wird. Sie endet in einer langen Einstellung auf dem Bildnis des Gekreuzigten. Im Gegensatz zu den meisten Filmen, deren Figuren ständig die Orte wechseln, irren die Figuren aus "Frost" aber nicht umher, ohne zu wissen, wo sie hinwollen: sie fliehen zu einem bekannten Ziel, zum Geburtsort der Mutter. Aber you can't go home again, „die Heimat derer, die ihre Heimat verlassen haben, ist allerorts und überall, nur nicht dort, wo sie angefangen haben“ (Salman Rushdie). Da es das Land schon nicht mehr gibt, aus dem die Frau stammt, gibt es auch ihr Elternhaus nicht mehr, und die Reise geht weiter ins Nichts (Häuserruinen, traurige Winterlandschaften) mit vorläufigen Etappen bis zur Ankunft in der Hölle des Nachtclubs, wo ein Bote aus der letzten Hölle auftaucht: der Ehemann. In der überraschenden Abschlußsequenz, als wir ein Ende anzusteuern meinen, das uns wieder an den Ausgangpunkt zurückzuführen scheint (das Wiedersehen der Eheleute, eine heftige Diskussion) in einer klassischen kreisförmigen Struktur, die schon eine große Hoffnungslosigkeit bestätigen würde, stößt das Kind seine Eltern mit abrupter Geste in die Flammen und in den Tod. Das letzte Bild dieses Films, in dem es nur wenige Großaufnahmen gibt, ist das der Flammen, der absoluten Unmöglichkeit für Leben. Kelemen gestaltet "Frost" mit zahlreichen Totalen, wo sich lange und ausgefeilte Kamerabewegungen mit minutiös bearbeiteten Bildern abwechseln (Nachteinstellungen, verschwommene Einstellungen, völlig schwarze Bilder),und gestaltet den Raum in einer wesentlich horizontalen Perspektive (mit Ausnahme der bewunderungswürdigen vertikalen Einstellungen der Treppen am Anfang), indem er aus dem Raum etwas für die Protagonisten grundsätzlich Unbequemes macht, der entweder übertrieben weitläufig oder übertrieben eng erscheint. Die wenigen Dialoge beschränken sich auf den Austausch von Informationen. Erklärende Monologe, artikulierte Gedanken, alles das, was über das, was der Zuschauer sieht, hinausgeht, was die aufeinander folgenden Szenen schmücken könnte, fehlen im Film gänzlich. Und deshalb ist der einzige Augenblick, in dem es eine Lockerung gibt, in dem die Frau etwas Vergnügen, etwas Hoffnung zu empfinden scheint, der, als sie allein, ohne ihren Sohn, im Karussell eine kurze Rückkehr in die eigene Kindheit erlebt, ohne daß ein einziges Wort gesprochen wird.Durch dieses beschreibende Szenarium, ohne jede erhabene Intervention des Wortes, gelingt es Kelemen, eine jener weiten Innenansichten zu entwickeln, die so deutsch sind, in denen die Protagonisten manchmal so sehr in die Tiefe gehen, daß sie nur scheitern können. Genau das rechtfertigt die Länge des Films von circa viereinhalb Stunden. Es ist überhaupt kein äußerer Wille spürbar, einen „langen Film zu drehen“. In "Frost" (einem Film ohne Brüche, dessen Höhepunkt sein Schluß ist), wie in jedem Film von berechtigterweise erweiterter Länge, bewirkt das Eintauchen des Zuschauers während der Zeit der Vorführung seine Identifikation, nicht so sehr mit den Figuren, sondern mit dem kinematographischen Ziel. ....................................................................................................................................... |