» Portugiesische Kinemathek | Originaltext: Antonio Rodrigues |12. April 1997
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Regisseure für das XXI. Jahrhundert - Fred Kelemen
FROST 1997 | Ein Film von Fred Kelemen

"Frost", vor kaum zwei Monaten auf den Berliner Filmfestspielen erstmals öffentlich vorgeführt, ist das jüngste Werk von Fred Kelemen, der sich in den vergangenen zwei Jahren als einer der wichtigsten Namen des neuen deutschen Films gezeigt hat, besser gesagt: als einer der wichtigsten neuen Namen des deutschen Films. Das noch junge Werk von Kelemen stellt im aktuellen Panorama des deutschen Films ein relativ einzigartiges Phänomen dar. Der neue deutsche Film hat dem Autorenkino, das ihm in den 70er und 80er Jahren internationalen Erfolg einbrachte, den Rücken zugekehrt und scheint seine Anstrengungen jetzt auf den Mainstream zu setzen, der ausdrücklich das sogenannte "große Publikum" erreichen will. In diesem Sinn korrespondiert die Arbeit Kelemens mit ihrem Anspruch und dem Fehlen von Zugeständnissen mit einem - bei jungen Cineasten aus verschiedenen Ländern - spürbaren Phänomen: sie reagieren auf die Banalisierung des Films, der auf den Status der einfachen "Bilder" zurückversetzt wird, analog denen, die jeden Fernsehzuschauer berieseln. Die Mehrzahl dieser Filme hat einen festen Platz im weiten Kreis der internationalen Filmfestivals. Dies bestätigt nur die grundsätzliche Bedeutung, die diese Einrichtungen für den parallelen Kreislauf der Filmdistribution erreicht haben. Wie viele andere Regisseure, die auf anspruchsvolle Weise ihr Tun und die verwendete Sprache reflektieren, hat Kelemen seine Arbeit in anderen künstlerischen Bereichen begonnen, genauer gesagt in der Malerei und in der Musik, bevor er sein Handwerk auf einer Filmschule erlernte und seine Arbeit als Assistent begann. Kelemen war in vielen Filmen als Direktor für Fotografie verantwortlich, auch bei Béla Tarr, und deshalb beherrscht er den visuellen Ausdruck vollkommen, weil er die Distanz zwischen seiner Vorstellung und dem Endergebnis auf der Leinwand perfekt kontrollieren kann. Für "Frost" hat er Drehbuch, Regie und Schnitt übernommen, folglich alle Etappen der Arbeit geplant, auf die er sich dann praktisch eingelassen hat.

Wie "Fate" ist "Frost" ein Film der absoluten Dunkelheit, eine Reise ohne Hoffnung und ohne Rückkehr, eine Reise, an deren Ende abrupt das Scheitern auftaucht, gerade dann, als alles bereits so aussieht, als ginge es zurück zum Ausgangspunkt. Kelemen greift auf seine Weise das Thema wieder auf, das dem zeitgenössischen Film so teuer ist: das Wandern von Protagonisten am Abgrund. Jedoch reisen die Protagonisten aus "Frost" fast immer zu Fuß, was jeden Manierismus eines road movie aus dem Film verbannt und somit der Irrfahrt dieser Frau und ihres Sohnes fast den Anschein einer langen Via Crucis verleiht, der dadurch verstärkt wird, daß die Geschichte in der Weihnachtsnacht beginnt und die Sequenz, in der beide in die Kirche gehen (es gibt nicht mehr Hoffnung auf Gott als in die Welt), betont wird. Sie endet in einer langen Einstellung auf dem Bildnis des Gekreuzigten. Im Gegensatz zu den meisten Filmen, deren Figuren ständig die Orte wechseln, irren die Figuren aus "Frost" aber nicht umher, ohne zu wissen, wo sie hinwollen: sie fliehen zu einem bekannten Ziel, zum Geburtsort der Mutter. Aber you can't go home again, „die Heimat derer, die ihre Heimat verlassen haben, ist allerorts und überall, nur nicht dort, wo sie angefangen haben“ (Salman Rushdie). Da es das Land schon nicht mehr gibt, aus dem die Frau stammt, gibt es auch ihr Elternhaus nicht mehr, und die Reise geht weiter ins Nichts (Häuserruinen, traurige Winterlandschaften) mit vorläufigen Etappen bis zur Ankunft in der Hölle des Nachtclubs, wo ein Bote aus der letzten Hölle auftaucht: der Ehemann. In der überraschenden Abschlußsequenz, als wir ein Ende anzusteuern meinen, das uns wieder an den Ausgangpunkt zurückzuführen scheint (das Wiedersehen der Eheleute, eine heftige Diskussion) in einer klassischen kreisförmigen Struktur, die schon eine große Hoffnungslosigkeit bestätigen würde, stößt das Kind seine Eltern mit abrupter Geste in die Flammen und in den Tod. Das letzte Bild dieses Films, in dem es nur wenige Großaufnahmen gibt, ist das der Flammen, der absoluten Unmöglichkeit für Leben.

Kelemen gestaltet "Frost" mit zahlreichen Totalen, wo sich lange und ausgefeilte Kamerabewegungen mit minutiös bearbeiteten Bildern abwechseln (Nachteinstellungen, verschwommene Einstellungen, völlig schwarze Bilder),und gestaltet den Raum in einer wesentlich horizontalen Perspektive (mit Ausnahme der bewunderungswürdigen vertikalen Einstellungen der Treppen am Anfang), indem er aus dem Raum etwas für die Protagonisten grundsätzlich Unbequemes macht, der entweder übertrieben weitläufig oder übertrieben eng erscheint. Die wenigen Dialoge beschränken sich auf den Austausch von Informationen. Erklärende Monologe, artikulierte Gedanken, alles das, was über das, was der Zuschauer sieht, hinausgeht, was die aufeinander folgenden Szenen schmücken könnte, fehlen im Film gänzlich. Und deshalb ist der einzige Augenblick, in dem es eine Lockerung gibt, in dem die Frau etwas Vergnügen, etwas Hoffnung zu empfinden scheint, der, als sie allein, ohne ihren Sohn, im Karussell eine kurze Rückkehr in die eigene Kindheit erlebt, ohne daß ein einziges Wort gesprochen wird.Durch dieses beschreibende Szenarium, ohne jede erhabene Intervention des Wortes, gelingt es Kelemen, eine jener weiten Innenansichten zu entwickeln, die so deutsch sind, in denen die Protagonisten manchmal so sehr in die Tiefe gehen, daß sie nur scheitern können. Genau das rechtfertigt die Länge des Films von circa viereinhalb Stunden. Es ist überhaupt kein äußerer Wille spürbar, einen „langen Film zu drehen“. In "Frost" (einem Film ohne Brüche, dessen Höhepunkt sein Schluß ist), wie in jedem Film von berechtigterweise erweiterter Länge, bewirkt das Eintauchen des Zuschauers während der Zeit der Vorführung seine Identifikation, nicht so sehr mit den Figuren, sondern mit dem kinematographischen Ziel.

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Übersetzung aus dem Portugiesischen: Ute Hermanns, Berlin