» Warum soviel Elend Herr Kelemen? Interview Merthen Worthmann, Berliner Zeitung
..............................................................................................................................................................

Merten Worthmann: Ihr neuer Film "Abendland" ist, wie davor schon "Verhängnis" und "Frost", wieder sehr düster geraten und steckt voll von leidender Gestalten. Warum so viel Elend?
Fred Kelemen: So viel Elend ist es doch gar nicht. Man sieht zwar das Elend, aber man sieht auch den Kampf dagegen. Und den durchleben wir doch täglich. Wenn man sieht, was um uns herum passiert, wie viele Kriege stattfinden, dann ist der Film nicht elender als unsere Realität, dann könnte ich auch sagen, warum gibt es so viel Elend in der Welt? Es kommt natürlich darauf an, wohin man seinen Blick wendet. Man kann Dinge ausklammern, das tut jeder Film, man will ja keinen Wühltisch wie im Kaufhaus schaffen, in dem alles drin liegt. Der eine klammert die schmerzvollen Seiten aus und ist immer lustig, der andere setzt den Schwerpunkt auf die dunkleren Seiten des Lebens.
In "Abendland" führt der Weg vom Dunkel ins Licht. Das ist zwar eine einfache Metapher, aber die stimmt ja auch im Leben. Wenn man einen Zustand erreichen will, der irgendwas mit Glück zu tun hat, dann muss man hart dafür kämpfen. Wir kriegen die Dinge nicht in den Schoß gelegt. Wenn man zum Beispiel, wie die beiden Hauptfiguren in "Abendland", eine Liebe bewahren will, die dabei ist, an den Umständen zu zerreißen, dann muss man sehr, sehr viel dafür tun. Das ist nicht leicht, es tut weh.
In seiner Dunkelheit ist "Abendland" quasi dokumentarisch, weil er zeigt, in welcher Umgebung wir uns bewegen und durch welche Welten wir unseren Weg gehen. Jede Liebesgeschichte findet statt vor dem Hintergrund der Realität, und natürlich müssen wir heute eine andere Realität bewältigen als vor 100, 200 Jahren. Die Realität fordert den Einzelnen heute mehr, die Gefühle sind einem ganz anderen Druck ausgesetzt, und ein Gefühl muss sich immer in der Realität behaupten, wir leben ja nicht in Seifenblasen. Dazu gehört auch der Druck des Arbeitsmarktes, der Druck der Umwelt, alles. Gerade die Arbeitslosigkeit ist ein Faktor, der viele Beziehungen zerstört. Ich kenne Geschichten von Paaren, wo die Liebe kaputtgegangen ist seit der Mann arbeitslos ist, weil er mit der Frau nicht mehr schlafen kann, weil er sich halb fühlt und ausgestoßen, weil das Selbstwertgefühl ganz unten ist. Und wer sich selbst nicht mehr wertschätzt, der kann auch andere nicht mehr lieben, der misstraut auch der Liebe des anderen, glaubt ihr nicht mehr.
Die meisten Szenen in "Abendland" gehen auf tatsächliche Erlebnisse zurück, auch die mit der Frau in der Diskothek. Das habe ich kurz nach der Wende in Budapest erlebt, als ein Hauch von Hoffnung da war in dem Land, was bald wieder erstickt worden ist. Ich habe nachts ein Mädchen gesehen, das arbeitslos war, die hat sich zulaufen lassen und dann so dermaßen ihre Wut rausgetanzt, dass wirklich der Boden in dieser Bar gesprungen ist, die Bodenplatten haben sich aufgelöst und der Sand ist darunter hervorgekommen. "Abendland" ist also sehr realistisch. Nur mag das natürlich jemand, der in seinem Einfamilienhaus mit Swimmingpool lebt, für übertrieben halten. Aber man sollte doch auch in der Lage sein, Menschen zu verstehen, die man nicht nachvollziehen kann. Sonst macht man sich selbst zum Maßstab der Dinge und wir landen am Ende in einem desaströsen Egoismus.

M. W. : Bleiben Sie auch in Zukunft auf der Nachtseite des Lebens ?
Nein, jeder Film entspricht ja einer Phase im Leben, und ich denke, dass bestimmte Dinge irgendwann gesagt sind.
M. W. : Sie scheinen aber immer noch in derselben Lebensphase zu sein wie zu Zeiten ihres Debüts "Verhängnis".
F. K. :Gut, die Welt ist in der Zwischenzeit auch nicht besser geworden.
M. W. : Und Sie scheinen nicht glücklicher.
F. K. : Ich erwarte auch nicht, dass ich glücklich werde. Ich glaube nicht, dass Glück der Maßstab sein muss für das, was man tut.
M. W. : Sondern?
F. K. : Vielleicht geht es nur darum, das zu tun, was man tun muss, ob es einen glücklich macht oder nicht. Nicht alles, was wir tun, macht uns glücklich, aber wir müssen es tun.
M. W. : War es nicht merkwürdig, einen Film wie "Abendland" in Venedig uraufzuführen, bei Sommer, Sonne und Strand?

F. K. : Solange es im Kino dunkel ist, ist das in Ordnung.


..............................................................................................................................................................
Berliner Zeitung, 21. September 1999