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Gespräch mit Fred Kelemen zu »KRISANA« (»GLUT«)
von Erika Richter
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- Wie kam es dazu, daß Du,
ein Berliner Filmregisseur und –autor, Deinen vierten langen Spielfilm
in Riga drehtest?
Ich kenne die Stadt seit nunmehr neun Jahren. Ich war mehrmals Gast des
Filmfestivals und habe 2002 und 2004 einen zwei- bzw. dreimonatigen Workshop
mit Studenten der Lettischen Kulturakademie (LKA) geleitet. Seit einigen
Jahren hatte ich vor, einen Film („Die eiserne Stadt“ / „Iron
City“) zu drehen, der zum Teil in Riga spielt, und zu dem es ein
fertiges Drehbuch gibt. Leider scheiterte das Projekt vor anderthalb Jahren
an dem deutschen Produzenten. Ich habe aber weiterhin vor, den Film zu
realisieren. In Koproduktion mit der Koproduzentin von „Die eiserne
Stadt“ / „Iron City“ habe ich im vergangenen Sommer
„Krisıana“ („Glut“) gedreht. Ich verband meinen
Aufenthalt dort mit der Arbeit zu diesem spontan entstandenen Film. Die
Idee dazu war natürlich auch eine Folge meiner intensiven Auseinandersetzung
mit der Stadt und ihren verschiedenen Lebenswelten. Sie folgte der Stimmung,
in der ich mich dort befand. Anschließend wurde der Film in Berlin
geschnitten, bevor ich zu Dreharbeiten nach Armenien flog. Ich arbeitete
dort als Kameramann für einen Film der kanadisch-armenischen Regisseurin
Gariné Torossian.
Mir war bei den ersten Gedanken an die Realisierung von „Glut“
bewußt, daß es keinen Sinn hätte, die Idee nach Deutschland
zu tragen, ein Drehbuch zu schreiben, durch die unter Umständen jahrelange
Mühle der Filmförderungen und Fernsehredaktionen zu gehen. Der
Film wäre, davon abgekühlt, nie gedreht worden. Und ich denke,
ein Film sollte gedreht werden, solange er heiß ist. Das Fördersystem
in Deutschland ist aber darauf nicht ausgelegt. Es findet eine große
Abnutzung der Kräfte statt, bevor es zum wirklichen kreativen Akt
kommt. Am Ende drehen die Regisseure einen Film, weil dann endlich die
Finanzierung steht. Doch Seele und Kopf sind inzwischen oft schon woanders,
und der Film wird nur gedreht, weil es möglich geworden ist; nötig,
heiß ist er dann nicht mehr. Jede Liebessehnsucht, auf deren Erfüllung
man zu lange warten muß, zermürbt und wird fahl. Und hier,
im Falle der Filmkunst, handelt es sich selbstverständlich um ein
Liebesverhältnis. Eine Veränderung des Fördersystems, das
Regisseuren, Produzenten, allen am kreativen Prozeß Beteiligten
die Möglichkeit böte, schnell, direkt, kurz nach Beendung der
Erstellung eines Drehbuchs oder einer Drehvorlage, einen Film im Zustand
kreativer Hitze zu realisieren, würde einen Energiestrom entstehen
lassen, der wundervolle Filme an das doch sehr verödete Ufer treiben
würde. Ich habe diesen Film im Zustand kreativer Leidenschaft gedreht,
und diese Leidenschaft teilten auch die Schauspieler und das Team. Unabhängig
davon, wie er beurteilt wird, habe ich meinen Frieden mit ihm, denn er
ist in Liebe entstanden, ohne Gegenstand irgendwelcher Strategien, Verhandlungen
etc. gewesen zu sein. Es lag ein sehr direkter, kurzer Weg zwischen der
Idee und der Realisierung, ähnlich dem künstlerischen Schaffen
eines Malers oder Dichters oder der Arbeit am Theater.
- Hat die Tatsache, daß Du in einem fremden Land drehtest,
dessen Lebensatmosphäre und politischer und historischer Hintergrund
anders ist und dessen Sprache Du nicht sprichst, diesen Film wesentlich
beeinflußt, etwa zur schnörkellosen Kargheit, Klarheit, Konzentration
und poetischen Dichte der erzählten Geschichte beigetragen? Oder
spielte dieses äußerliche »Fremd-Sein« für
Dich bei der Arbeit am Film keine große Rolle? Wie entwickelte sich
die Geschichte?
Ich habe mich nicht fremd gefühlt. Ich fühle mich nicht fremd
in Ländern außerhalb Deutschlands. Ich fühle mich fremd
mit manchen Menschen. Dabei spielt es keine Rolle, woher sie stammen oder
wo sie mir begegnen.
Der Stil des Filmes hat mit dem Ort nichts zu tun. Er ist konsequent Teil
meiner bisherigen Arbeit; eine Fortführung. Die Geschehnisse können
sich überall ereignen. Doch der Ort und seine Menschen haben dem
Klang des Filmes, und zwar dem Klang der Töne und der Bilder, natürlich
ihre Färbung gegeben.
Die Geschichte entwickelte sich aus den Charakteren heraus von allein.
Die Personen des Filmes handeln, und als Handelnde entspinnen sie Geschichten.
Geschichten bzw. Situationen sind natürliche Absonderungen unseres
Handelns; ähnlich des Fadens einer Spinne. Ich bin dem möglichen
und relevanten Verhalten der Charaktere gefolgt. Das ließ das Geschehen
folgerichtig entstehen.
- Wie in Deinen früheren Filmen sind die Gänge der Hauptperson
durch den Raum, in diesem Falle durch Riga bei Tag und bei Nacht, für
die Geschichte des „Helden“ und für die Struktur des
Films von zentraler Bedeutung. Was bedeuten Dir diese Gänge?
Die Gänge bedeuten nichts. Wir gehen, wir sind unterwegs, wir müssen
unsere Körper von A nach B schaffen, wir sind keine ruhenden Wesen,
keine Pflanzen, keine Engel, wir sind unterwegs, die Unruhe treibt uns.
Es gibt keine Wege, es gibt nur den, der geht. Das ist der Mensch. Beim
Gehen spinnen wir die Wege. Wir hinterlassen Spuren. Spuren der Verzweiflung,
der Gewalt, der Sehnsucht, der Liebe. Wir sind unterwegs. Wir sind Nomaden.
Wir gehen. Es bedeutet nichts, als daß wir gehen.
- In Deinen früheren Filmen standen leidenschaftliche, schmerzhafte
Beziehungen zwischen zwei (oder sogar drei) Menschen im Zentrum, die zu
Exzessen und Eruptionen führten. In „KRISıANA“ („GLUT“)
erleben wir die Geschichte eines Mannes, dessen Sehnsüchte und Begierden
sich in seinem Innern abspielen. Die Intensität dieses Films hat
nichts Spektakuläres. Siehst Du diese geistige Konzentration als
Ausdruck einer neuen Stufe der Entwicklung Deines filmischen Denkens an?
Nein, es ist keine neue Stufe. Es gibt nichts Neues. Es ist immer schon
alles da. Es kommt nur nicht alles immer gleich zum Vorschein. Bestimmte
Umstände treffen mit bestimmten Präpositionen zusammen und lassen
wie in einer chemischen oder alchimistischen Reaktion Wirklichkeiten hervortreten.
Und zu dieser Zeit, in dieser Situation, an diesem Ort, mit diesen Menschen
war das Erzählen dessen, was der Film zeigt, auf diese Weise möglich.
Aber es ist keine neue Stufe. Im Holz ist das Feuer gewissermaßen
schon immer enthalten. Unter bestimmten Umständen tritt es nach außen
und wird sichtbar.
In diesem Film wollte ich stiller sein, auf die ausgelebten Exzesse habe
ich verzichtet. Sie toben stattdessen im Innern. Das Drama, das sich ja
immer im Innern abspielt – in der Außenwelt manifestiert es
sich nur - , habe ich in den Kopf, in die Imagination verlagert. Ich habe
schon längere Zeit ein Unbehagen an der Vulgarität auserzählter
Geschichten. Das wirkliche Drama findet in unserem Geist statt. Es ist
wie alles eine Illusion, und wie jede Illusion eine Wirklichkeit.
- Warum hast Du für diesen Film – zum ersten Mal –
Schwarz-Weiß gewählt?
Ich habe schon immer Schwarz-Weiß-Filme gedreht, nur eben in Farbe.
Diesmal habe ich auf die Farbe verzichtet.
- Glaubst Du, daß Du mit dieser universellen Geschichte
über Einsamkeit, Versagen, Sehnsucht nach Liebe, Schuld und Hoffnung
auf Vergebung der Schuld etwas beitragen kannst zur Bewältigung des
Lebens der Menschen in diesen harten, seelenlosen Zeiten.
Nein. Nichts. Es ist eine sehr individuelle Angelegenheit, was ein Mensch
mit einem Film, den er gesehen hat, anfängt, was dieser Film mit
ihm tut, welches Leben er in ihm hat. Und so ist das mit allem, was uns
begegnet, uns widerfährt.
- Wie siehst Du mit diesem Film, aber auch generell mit Deiner
gesamten Haltung zur Bedeutung der Filmkunst, Deine Situation innerhalb
der mehr oder weniger auf Profiterwirtschaftung ausgerichteten Filmszene
und innerhalb der Gesellschaft?
Jeder Film kann der letzte sein. Es wird immer schwieriger, den Anspruch
umzusetzen, Filme zu realisieren, die sich nicht den kapitalistischen
Prinzipien der Geldvermehrung, die dieser wie jeder Kunst nicht inhärent
sind, unterwerfen. Jeder Film muß leider gegen die herrschende Ideologie
unter großer Kraftanstrengung durchgesetzt werden. Unser gesamtes
Leben wird ja inzwischen verstärkt vom Virus der Kommerzialität
und vom Infekt der Angst angegriffen. So ist es auch im Bereich des Films.
Den Zuschauern werden immer weniger Möglichkeiten gelassen, andere
Formen des Kinos wahrzunehmen, was eine von außen durchgeführte
künstliche Verengung des Blicks bedeutet und eine Amputation der
Filmkunst. Ein Gewaltakt.- Warum bist Du jetzt auch Produzent geworden?
Das hat zu tun mit dem, was ich gerade sagte. Jeder Produzent, der einen
Film, von dem er weiß, daß er gut ist, gegen sein besseres
Wissen nicht realisiert, weil er kommerziellen, profitorientierten Interessen
nicht entspricht, arbeitet mit am Tod der Filmkunst. Und wir, das heißt
meine Partner und ich, beurteilen den Wert der Realisierung eines Filmes
nicht nach Kriterien der Profitabilität, sondern nach seinen originär
künstlerischen und kommunikativ menschlichen. Das ist auch eine Möglichkeit,
mit dieser Kunst umzugehen. Es ist vielleicht eine Chance. Und etwas muß
sich ja ändern.
- Du hast einmal gesagt, daß Du nicht an die Hoffnung glaubst
und auch nicht denkst, daß Filme einen Menschen ändern könnten.
Warum drehst Du weiter Filme und bringst anderen bei, Filme zu drehen?
Welchen Zweck hat es?
Wir sind sterbliche Wesen. Wir sollten nicht hoffen. Wir sollten unser
Leben als Mensch in der erschöpfendsten, vollständigsten Weise
realisieren und gestalten, was unsere flüchtige physische Existenz
und unser transzendentes Wesen einschließt. Ich habe nicht gesagt,
daß ich nicht an die Hoffnung glaube, ich habe gesagt, daß
die Hoffnung, so wie ich sie verstehe, eine passive Haltung ist, die uns
in einer wartenden Stellung hält. Wir sitzen und hoffen und warten,
und während wir warten, findet das Leben statt und andere handeln
und bestimmen unsere Realität. Die Hoffnung ist ein sehr beliebtes
politisches Instrument, um die Leute ruhig zu halten und sie zu beherrschen.
Sie ist zu einer Art Ideologie geworden. Doch die Hoffnung sollte auf
etwas gestützt sein. Das könnte Vision genannt werden. Ich würde
bevorzugen, HOFFNUNG mit VISION zu ersetzen. Eine Vision ist mit Energie
und Leidenschaft aufgeladen, sie ist nicht passiv, sie fordert ihre Realisierung.
In einer Zeit, in der das Ende der Utopien ausgerufen wird, ist es extrem
wichtig, den Mut zum utopischen Denken zu haben, den Geist zu öffnen,
um in der Lage zu sein, den sehr begrenzten Pragmatismus zu überwinden,
der unser Denken und Fühlen auf die materielle Ebene unserer Existenz
konzentriert, und unsere intellektuellen, emotionellen und schöpferischen
Fähigkeiten und Möglichkeiten außeracht läßt.
Ohne Hoffnung zu leben, an das Leben und dessen Möglichkeiten ohne
Hoffung und Verzweiflung zu glauben, sich jenseits dieser Illusionen zu
bewegen und den Raum der Realität zu betreten, wo wir mit einem unverdorbenen
Blick sehen können, wie das Leben wirklich ist, das Undenkbare zu
denken, ohne uns selbst zu begrenzen, authentisch zu handeln, keine Angst
vor der Utopie zu haben, auch wenn es keine Versprechung auf Erfüllung
gibt, unsere geistigen und emotionellen Grenzen zu erweitern, zu lieben
ohne Erwartungen und Belohnung, das wäre ein Akt menschlicher Würde
und Schönheit. - Auch wenn es ungeheuer schwierig ist.
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Januar 2005
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