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Ich bin wahnsinnig wütend | Mit Fred Kelemen sprach Dorothee
Wenner | Aus: Film und Fernsehen, Potsdam 1997, Heft 5+6, herausgegeben
vom Filmverband Brandenburg
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Ich bin wahnsinnig wütend
D.W.: Bevor eine Filmidee zu einem »Projekt«
wird, mit Drehbuchschreiben, Bewerbungen um Fördergelder, Produzentengesprächen,
Casting usw., muß es diesen einen Moment geben, wo für Dich
ein neuer Film beginnt.
F.K.: In »Verhängnis« war es zum Beispiel dieser Mann,
den ich in einer Kneipe beobachtete, ein Flüchtling aus Jugoslawien.
In dieser Kneipe saßen fast nur jugoslawische Flüchtlinge –
und tranken. Über dem Tresen hing ein Fernseher, dort lief MTV. In
diesem Moment war so eine unglaubliche Diskrepanz wahrzunehmen, die bunte
MTV-Welt und die Welt, aus der dieser Mann kommt. Dieser Widerspruch reizte
mich. Ich wollte wissen, was dieser Mann macht, wenn er aufsteht.
Es sind solche Szenen, Bilder oder auch Geschichten, die ich von Bekannten
höre oder auch von völlig Unbekannten, denen ich in irgendwelchen
Kneipen begegne. Sie werden zum Ausgangspunkt für einen Film, wenn
sie etwas Exemplarisches haben, exemplarisch für die Zeit, in der
wir leben.
D.W.: Gibt es bestimmte Orte, wo Du Dich zu »Inspirationszwecken«
gerne herumtreibst?
F.K.: Nun, ich lebe nicht in einer Grunewald-Villa und presse Geschichten
aus mir heraus! In meinem nächsten Film »Abendland« geht
es um Arbeitslosigkeit und Liebe. Und ich kenne das Gefühl, arbeitslos
zu sein – eigentlich bin ich immer arbeitslos, wenn ich nicht drehe.
Ich kenne auch das erdrückende Gefühl, kein Geld zu haben. Bei
den Vorbereitungen für »Abendland« habe ich mich oft
in Ostdeutschland aufgehalten, zum Beispiel war ich einige Zeit in einem
Ort, in dem 90% der Leute keine Arbeit haben. Später war ich einmal
in diesem kleinen Dorf »Zinnwald«, wo ich nachts in einer
Kneipe Männer gesehen habe, die Stunde um Stunde Dart spielten, aber
kein Wort redeten. Dieses Schweigen bedeutet mir sehr viel, ich möchte
in meinen Filmen dieses Schweigen erhalten. In unserer Gesellschaft gehört
Sprachfähigkeit nur zu einer bestimmten Schicht, die es normal findet,
»über etwas zu diskutieren«. Sehr viele andere Menschen
artikulieren sich viel mehr durch das, was sie tun: durch Gewalt und Aktionen,
und durch Schweigen. Das Schweigen macht ihr Leben zu einem stummen Erleiden,
und das genau ist die Eigenschaft des Protagonisten in »Abendland«
- ein arbeitsloser Held, der nicht mehr kämpft.
D.W.: Was macht Arbeitslosigkeit für Dich zu einem
so existentiellen Thema?
F.K.: Wenn Du keine Arbeit hast, gibt es plötzlich unendlich viel
Zeit zum Nachdenken. Es ist der Verlust des Luxus, acht Stunden am Tag
zu wissen, wohin man gehen kann, wo man aufgehoben ist. Für unsere
Elterngeneration hat Arbeitslosigkeit etwas mit Statusverlust zu tun,
mit materieller Not und ökonomischem Druck. Das gibt es heute natürlich
auch, vielleicht sogar noch krasser als früher. Was die heutige Arbeitslosigkeit
aber existentieller macht, ist die Leere, die einen umgibt, wenn man arbeitslos
wird. Wahrscheinlich hat das etwas damit zu tun, daß die Beziehungen
der Menschen untereinander kälter geworden sind. Die Folgen der Arbeitslosigkeit
spürt man auch in den allernächsten sozialen Beziehungen, die
ja nicht deswegen kaputt gehen, weil man kein Geld mehr hat. Ich kenne
zum Beispiel Geschichten von Männern, die arbeitslos wurden und sich
plötzlich nicht mehr von ihren Frauen anfassen lassen konnten. Das
ist zwar keineswegs ein nationales Problem, aber in vielen anderen Ländern
ist Armut nicht so neu wie hier. In Deutschland aber ist man an Arbeitslosigkeit
und die Folgen nicht mehr gewöhnt, und gleichzeitig definiert man
sich sehr stark über Arbeit. Deswegen gibt es hier einfach keinen
Platz für ein Leben in Würde, wenn man arbeitslos und arm wird.
D.W.: Mit dem, was Du als Anliegen Deines nächsten
Filmes beschreibst, hättest Du vor 20 Jahren in das Raster des politisch
engagierten Filmemachers gepaßt.
F.K.: Ich verstehe mich auch als politischen Menschen, wenn auch nicht
vordergründig ideologisch. Ich bin wahnsinnig wütend auf gewisse
Zustände und Ungerechtigkeiten. Was mich am meisten aufregt, ist
die Art, mit der so viele Leute überlistet und überrannt werden,
weil sie rhetorisch nicht bestehen können. Diese Leute werden heutzutage
wegberuhigt. Es gibt überhaupt ein großes Bestreben, alles
zu beruhigen und den Sprengstoff, der da ist, zu entschärfen. Warum
läßt man die Leute gegen Wände laufen, bis sie nicht mehr
können? Gleichzeitig haben alle so viel »Verständnis«,
aber dieses »Verständnis« führt zu keinen Veränderungen,
weil keiner bereit ist, persönliche Verantwortung zu übernehmen.
D.W.: Übernimmst Du beim Filmemachen so verstandene
persönliche Verantwortung?
F.K.: Ja. Aber ich übernehme natürlich keine Verantwortung für
Arbeitslosigkeit an sich – das wäre absurd. Ich glaube an den
Film als Film. Und da geht es mir in »Abendland« um die Notwendigkeit
und den Druck, auch über Arbeitslosigkeit zu reden. Filmemachen bedeutet
für mich, zu reflektieren, über die Gegenwart, über die
Zeit, in der wir leben. Ich finde es unglaublich zynisch, wenn man Filme
macht, die an der Realität vorbeigehen. Es ist sogar bewußt
zynisch, etwas zu sehen und es nicht zum Thema zu machen: zynisch gegen
die Menschen.
D.W.: Arbeitslosigkeit – um bei Deinem nächsten
Thema zu bleiben - ist ein gutes Beispiel für einen Filmstoff mit
Gegenwarts- und Realitätsbezug, der nicht gerade populär ist,
wenn man damit bei einem Fernseh-Redakteur oder Produzenten auftaucht.
F.K.: Mir sind die Kriterien, nach denen Drehbücher angenommen oder
abgelehnt werden, ohnehin zu wenig transparent. Vor allem die Konstruktion
des Zuschauers und die Vermessenheit von Gremien oder Redakteuren, wissen
zu meinen, was »der Zuschauer« sehen will – oder nicht.
Dieser homogene, mehrköpfige Drache des illusionären Zuschauers
– das ist ein unglaublicher fake, ebenso wie die Einschaltquoten.
Es ist eine Simulation von Wirklichkeit, die für viele der Geldgeber
zu einem verhängnisvollen Korsett wird. Mit der Begründung,
daß »der Zuschauer« dieses oder jenes nicht sehen will,
werden Drehbücher abgelehnt. Aber eigentlich sind es die Geldgeber,
die nicht wollen, daß die Wirklichkeit in ihre und unsere Wohnungen
dringt.
D.W.: Dabei bedeutet die Gunst des Zuschauers ja nichts
anderes als kommerziellen Erfolg.
F.K.: Der ist aber nicht kalkulierbar, und alle Regeln, die diesen Erfolg
planen wollen, sind absurd. Ich könnte mir zum Beispiel überhaupt
nicht vorstellen, ein Drehbuch mit dem Ziel schreiben zu müssen,
daß es dieser fiktiven Konstruktion des mehrköpfigen Drachens
gefallen soll. Tatsächlich gibt es auch kein Schema, das funktioniert,
sonst würden ja aus so vielen, im voraus hochgejubelten, Filmen keine
Flops! Am meisten aber ärgert es mich, daß hinter der derzeit
so oft geforderten »Professionalisierung« nicht nur des Drehbuchschreibens
ein schreckliches Weltbild steckt. Als seien Zuschauer wie Automaten,
deren Gefühle beim Betrachten eines Films voraussehbar, schematisierbar
wären! Und die Grundlage dafür sind dubiose Einschaltquoten
oder auch das Schielen nach gewissen amerikanischen Vorbildern. Das ist
ein sehr destruktives Verhalten, mit dem filmische Vielfalt verhindert
wird. Es schränkt die Zuschauer in ihren Möglichkeiten, Filme
zu sehen, sehr ein und verdummt sie.
D.W.: Wie müßte Deiner Ansicht nach eine
Filmförderung aussehen, die sich den Erhalt filmischer Vielfalt zum
Programm macht?
F.K.: Ich sehe es generell als problematisch an, wenn nur eine Person
über Filmprojekte entscheidet. Ich würde mir Gremien wünschen,
in denen Leute sitzen, die tatsächlich im Filmbereich arbeiten oder
gearbeitet haben. Ausstatter, Kameraleute, Produzenten und ausländische
Filmschaffende – nicht nur Deutsche - wären für solche
wechselnden Gremien wünschenswert. Auch Ältere sollte man einbeziehen,
die vielleicht nicht mehr im Filmbereich arbeiten, die aber an der Entwicklung
einer früheren Tradition beteiligt waren. Wichtig finde ich, daß
der nicht-kommerzielle Wert von Filmen beurteilt wird und nicht nur der
vermeintliche ökonomische Erfolg. Kassenerfolge sind ja auch nicht
unbedingt Filme, die bleiben. Es ist eine Sackgasse, wenn Drehbücher,
Regisseure und Schauspieler nur nach ihrem augenblicklichen Marktwert
beurteilt werden. Filmische Vielfalt hat etwas mit Risikobereitschaft
zu tun. Es gibt jedoch in Deutschland – mehr als z.B. in Amerika
– eine große Angst, sich auf etwas Unkalkulierbares einzulassen.
In Amerika wird auch diese merkwürdige Diskussion, ob Film Kunst
oder Kommerz ist, gar nicht geführt – dort gehört selbstverständlich
in jedes große Museum eine Filmabteilung! In den USA ist Film selbstverständlich
eine moderne Kunstform, und dementsprechend ist man dort Experimenten
gegenüber viel aufgeschlossener. Aber hier – im Abendland –
ist alles Neue, Fremde gefährlich. Mir kommt es oft so vor, als würden
in Deutschland Filme immer mehr nach Sicherheitsvorgaben verwaltet und
geplant. Es ist wie mit Flüssen: Wenn man sie begradigt, gleicht
am Ende ein Fluß dem anderen. Filmische Vielfalt hat sehr viel mit
Raum zu tun, den man ausnützen sollte. Wenn man diesen Raum einschränkt,
führt das zu Ödnis.
D.W.: Das Phänomen schwindender filmischer Vielfalt
braucht aber auch Regisseurinnen und Regisseure, die bereit sind, solche
Filme zu machen, die sich immer mehr ähneln.
F.K.: Es gibt ganz unterschiedliche Motive für Leute, Filme zu machen.
Genau wie bei den Medizinern, die ja auch nicht unbedingt diesen Beruf
ergreifen, um Menschen zu heilen, sondern um Geld zu verdienen. Als Filmemacher
ist es wichtig, auf seinen eigenen Visionen zu beharren und den Bürokraten
das Feld nicht kampflos zu überlassen.
D.K.: Filmische Innovation ist zwar nicht unbedingt
an das Alter der Filmschaffenden gebunden, aber trotzdem hofft man vor
allem von jüngeren Leuten Filme zu sehen, die neu sind.
F.K.: Ich würde mir wünschen, daß die jüngere Generation
von Filmemachern aggressiver und mutiger wäre. Viele Leute geben
heute zu schnell auf, wenn es darum geht, etwas Neues, Eigenes durchzusetzen.
Man muß beharrlich sein! Wenn all diese Gremien massenhaft mit Drehbüchern,
die »anders« sind, bombardiert würden, würde das
sicher auch die filmische Vielfalt fördern. Ich habe aber festgestellt,
daß zum Beispiel an der dffb, wo ich studiert habe, der Freiraum
zum Experimentieren kleiner geworden ist, was vielleicht auch an der Konkurrenz
unter Filmemachern liegt. Es gibt dort Leute, die schließen sich
tatsächlich im Schneideraum ein! Ich habe die dffb als ein Laboratorium
verstanden, ich wollte erst einmal herausfinden, was für mich ein
Film überhaupt ist. Heute gibt es dort aber nicht wenige Studenten,
die wollen sogar ihren ersten Film schon verkaufen, - das macht viele
Filme sehr glatt. Dabei gibt es gerade im Umfeld der Filmschulen und der
jüngeren Generation etwas zu verteidigen, was sonst verloren geht.
D.W.: Hast Du mit dem dffb-Abschluß die Experimentierphase
abgeschlossen?
F.K.: Ich nehme mir bei jedem Film Sachen vor, die ich noch nie gemacht
habe. In »Abendland« ist es zum Beispiel die Konstellation
von vier Hauptpersonen, die neu für mich ist.
Ein wirkliches Experiment wird dieser Film, weil ich alle Szenen sowohl
auf Film wie auch simultan auf Video drehen will. Das Material soll im
fertigen Film dann gemischt werden. Es soll zwei Arten des Sehens oder:
einen filmischen und einen dokumentarischen Blick geben. Und das Experiment
besteht darin, diese beiden Blicke am Ende zusammenzubringen.
Ich begreife den Film mit seinem erst hundertjährigen Bestehen immer
noch als eine sehr junge Kunst, und wenn es ein ABC der Cinématografie
gibt, dann ist es noch lange nicht fertig. Wir sind höchstens beim
Buchstaben D.
D.W..: Siehst Du Dich mit Deiner Arbeitsweise in der
deutschen Filmlandschaft als Einzelkämpfer?
F.K.: Als Regisseur brauche ich Produzenten, und ein Team - insofern ist
es natürlich kein Alleingang, man braucht Verbündete. Außerdem
gibt es für mich nichts Schöneres, als wenn Menschen gemeinsam
etwas schöpfen.
D.W.: Ich meinte eher das Verhältnis zu anderen
Filmemachern.
F.K.: Ich habe Kontakt zu anderen Filmemachern, aber mehr zu ausländischen.
In Deutschland sehe ich nicht, daß so etwas wie eine Gruppe existiert,
jeder macht seinen Film, seinen Kram. Dabei würde ich es für
reizvoll halten, wenn man seine Arbeit mehr der Diskussion aussetzen würde
– oder auch bei bestimmten Themen zusammenarbeiten würde. Mit
Leuten wie Werner Penzel und Nikolas Humbert, die »Step across the
border« und »Middle of the Moment« gemacht haben, oder
mit Michael Klier könnte ich mir eine Zusammenarbeit vorstellen.
D.W.: Was ist eigentlich mit Deinem letzten Film »Frost«
passiert, der auf dem Internationalen Forum der Berlinale 1997 uraufgeführt
wurde, aber seitdem nie wieder zu sehen war?
F.K.: Ich habe vorhin von meiner Wut auf gewisse Zustände gesprochen
– und die Geschichte mit »Frost« ist durchaus auch ein
Teil meiner Wut und Trauer. Mir geht es in erster Linie um den Film selbst
und um die Menschen, die daran arbeiten, und um die, die ihn dann später
sehen werden. Bei dem Produzenten von »Frost« handelt es sich
um den Verleiher meines vorangegangenen Films »Verhängnis /
Fate«, der mit dem Vorschlag an mich herantrat, meinen nächsten
Film zu produzieren. Ich vertraute ihm die Produktion von »Frost«
an, da ich natürlich davon ausging, daß er meine filmische
Vision teilte. Während der laufenden Dreharbeiten wurde allerdings
deutlich, daß seine Interessen andere waren und nicht dem Film galten.
Das ging so weit, daß das Projekt aufgrund seiner Initiative mehrmals
vor dem Zusammenbruch stand. Der Film mußte tatsächlich vor
seinem eigenen Produzenten beschützt werden. Nur durch den Zusammenhalt
und den ungeheuren Einsatz des Teams und die Unterstützung der Redakteurin
des Kleinen Fernsehspiels, Annedore von Donop, gelang es, die Realisierung
von »Frost« zu Ende zu führen.
Während der Postproduktion bekamen wir die volle Macht eines Produzenten,
und wie er sie ausüben kann, deutlich zu spüren, als dieser
sie dann in unglaublich aggressiver Weise einsetzte, um durch eine Verhinderungsstrategie
das Projekt zu Fall zu bringen. Uns wurde z. B. notwendiges Material verweigert,
Termine mit dem Kopierwerk und der Negativ-Cutterin wurden nicht wie abgesprochen
vereinbart oder willkürlich geändert und sehr vieles mehr. Der
dadurch entstandene Zeitverlust führte dazu, daß der Film nur
in einer noch rohen Form während der Berlinale aufgeführt werden
konnte. Mir war es jedoch wichtiger, mein Wort dem »Internationalen
Forum des Jungen Films« gegenüber zu halten als den Film zurückzuziehen.
Das war auch aufgrund des schon Geschilderten notwendig. Das Leben des
Films mußte verteidigt werden. Die etwa zehn Einladungen zu internationalen
Festivals mußte ich jedoch absagen, da auch nach der Berlinale von
dem Produzenten die Fertigstellung bis heute erfolgreich verhindert wurde.
Ich weiß nicht, wann ich die Gelegenheit haben werde, ihn fertigstellen
zu können. Unklar ist auch, wann der Film im ZDF gezeigt werden kann.
Es gibt, wie man sieht, eine Form des Nichthandelns, die hochgradig destruktiv
ist.
Die Produktion von »Frost« bzw. die Arbeit mit seinem Produzenten
hat nicht nur mich, sondern das gesamte Team in wirklich extrem elende
Lebenssituationen geworfen. Ich selbst konnte das Ganze nur mit großer
Mühe durchhalten; zum Teil nur durch Hilfe von Freunden. Ich mußte
einen hohen Preis für die Arbeit an diesem Film mit diesem Produzenten
zahlen. Daß so etwas möglich ist, daß ein Produzent in
unverantwortlichster Weise die Menschen und den Film, den sie mit viel,
sehr viel Liebe und Leidenschaft, unter großer Anstrengung geschaffen
haben, einfach zerstören kann, läßt natürlich eine
himmelschreiende Wut und Traurigkeit entstehen.
D.W.: Gab es Momente, wo Du aufgeben wolltest?
F.K.: Es gab Phasen, in denen ich mich fragte, mit welcher Berechtigung
ich 20 oder 30 Leute für so einen Wahnsinn wie einen Film beschäftige.
Einen Film zu machen, bedeutet ja auch, seinen sehr persönlichen
Traum zu realisieren, für den ich die Lebenszeit anderer Menschen
beanspruche.
Ich spüre immer eine große Verantwortung für die Leute,
die in einem Projekt mitmachen: Sie wollen nämlich in dem Film mitmachen,
den ich ihnen versprochen habe. Ich will sie nicht betrügen –
und ich glaube zum Beispiel, daß man Schauspieler betrügt,
wenn man sich zu schnell zufrieden gibt mit einer Szene. Und das Team
wird betrogen, wenn man zu viele Kompromisse eingeht. Ich möchte
einen Film machen, auf den das Team, das diesen Film gemacht hat, stolz
sein kann.
D.W.: Inwieweit sind Deine Filme denn »Team-Arbeit«?
F.K.: Ich funktionalisiere Menschen nicht gerne, ich lasse mich beeinflussen
und nehme gerne Sachen an. Ich frage auch den Beleuchter nach seiner Meinung
zu einer bestimmten Szene. Außerdem ist für mich der Moment
des Drehens entscheidend: die Präsenz am Drehort, das ist für
mich eigentlich das Wichtigste, das ist meine Sicherheit. Dagegen wäre
ich sehr unsicher und gelangweilt, wenn ich 1:1 ein fertiges Drehbuch
abarbeiten müßte, - ich schreibe ja auch keine Drehbücher,
in denen Dialoge fixiert sind. Die Dialoge werden beim Drehen entwickelt.
Meine Drehbücher sind sehr präzise Situationsbeschreibungen,
Absichtserklärungen, die sehr genau die Atmosphäre vorgeben
und die Bewegungen der Schauspieler und der Kamera. Dennoch bemühe
ich mich, beim Drehen einen offenen Raum zu lassen, damit das Leben eindringen
kann. Oft verändere ich auch noch am gleichen Tag eine Szene, weil
ich morgens, auf dem Weg zum Drehort, auf der Straße irgendetwas
erlebt habe, was mich den ganzen Tag beeinflußt und genau zu dieser
Szene paßt. Beim Drehen gibt es für mich so ein Gefühl
von Hochspannung: Man spürt, was falsch und was richtig ist. Aber
diese Hochspannung gibt es nur, wenn noch genug Raum für diese oder
jene Möglichkeit bleibt. Diesen Freiraum möchte ich zum Beispiel
auch meiner Szenenbildnerin geben, wenn ich ihr Musik vorspiele oder Bilder
zeige, die mir wichtig sind. Ich versuche, Leute zu inspirieren.
D.W.: Was sind denn Deine Schwächen als Regisseur?
F.K.: Daß ich manchen Leuten das Gefühl gebe, zu wenig abzugeben.
Und meine Unpünktlichkeit. Es kostet mich wahnsinnige Anstrengung,
pünktlich zu sein.
D.W.: Wie laufen – nach den schlimmen Erfahrungen
mit »Frost« - die Produktionsvorbereitungen zu Deinem neuen
Film?
F.K.: Ursprünglich wollte ich »Abendland« in Ostdeutschland
drehen, aber das sollte erst deswegen nicht möglich sein, weil ich
aus einem westlichen Bundesland Geld bekommen hätte, das an die Bedingung
gekoppelt war, dort auch zu drehen. Ich hatte auch einen Schweizer Produzenten,
der den Film aber nur machen konnte, wenn wir Schweizer Fernsehgelder
bekommen hätten, die wiederum aber nur an prime-time-taugliche Filme
vergeben wurden. Das alles ist vielleicht typisch und erklärt das
Traurige an der heutigen Situation, viele Projekte scheitern aufgrund
solcher bürokratischen Regelungen.
In Deutschland haben die wenigsten Produzenten Geld, sie beschränken
ihre Arbeit auf eine Nullachtfünfzehn-Suche nach Geld aus den üblichen
Quellen. Da wird neuerdings zwar gerne eine »Professionalität«
von Produzenten eingeklagt, die aber am Ende für diesen Beruf nichts
anderes bedeutet, als eine genormte Haltung Filmen gegenüber. Auf
diese Weise wird Kreativität verhindert, und auch das, worauf es
mir am meisten ankommt: Leidenschaft für Filme. Jetzt arbeite ich
mit Alexander Ris als Produzenten zusammen, den ich sehr schätze,
weil er Filme liebt – und die Finanzierung steht schon zu 2 / 3.
Es wird eine deutsch / portugiesisch / französische Koproduktion,
in der auch die 700 000 DM drinstecken, die ich für den Bundesfilmpreis
bekommen habe. Gedreht wird in Ostdeutschland und in Portugal.
D.W.: Ostdeutschland und Portugal – das sind zwei
Länder, die mir von hier aus betrachtet nicht gerade als ähnliche
oder gar austauschbare »Kulissen« erscheinen. Mußtest
Du wegen der neuen Geldgeber Kompromisse machen, das Drehbuch ändern?
F.K.: Ich werde im Norden Portugals drehen. Der hat große Ähnlichkeiten
mit gewissen ostdeutschen Städten: sehr kaputt, grau, steinern, und
die Stimmung erinnert an die in Osteuropa. Nein – es waren keine
Kompromisse nötig, mit gefällt es sogar, daß der Film
jetzt am östlichen und westlichen Extrempunkt Westeuropas entsteht.
Und diese Punkte treffen sich – die Farben, die Menschen, die Armut,
die Atmosphäre sind sich ähnlich.
D.W.: Was passiert für Dich, wenn ein Film fertig
ist? Wie wichtig ist das Publikum für Dich?
F.K.: Filme sind für mich Kultur, die nicht nur Konsum ist. Dazu
gehört es, sich mit den Filmen auseinanderzusetzen. Film zu zeigen
bzw. anzusehen ist wie ein Dialog, ein Gespräch. Ich gehe selbst
auch sehr gerne ins Kino und schaue mir Filme von anderen an. Und natürlich
freue ich mich, wenn sich möglichst viele Leute Zeit nehmen, meine
Filme anzusehen und ihr Geld für die Kinokarte auszugeben bereit
sind. Mit »Verhängnis« bin ich zu über 40 Festivals
eingeladen worden. In den Gesprächen mit den Zuschauern habe ich
viel gelernt – welche Umwege sie machen und wie schwer es oft fällt,
über Filme zu reden. In Deutschland zum Beispiel wurden mir immer
zuerst technische Fragen gestellt, wieviel der Film gekostet hat usw.,
bevor das Gespräch persönlicher wurde.
D.W.: Fallen Dir solche Publikumsgespräche manchmal
schwer?
F.K.: Am schlimmsten im Kino ist der Weg von der Tür nach vorne –
meistens sind die Türen hinten, und die Leinwand ist vorne. Ja: Da
gibt es Momente, da liefert man sich aus. Manchmal bin ich auch gerade
verschlossen, muß aber nach außen gehen. Das ist dann nicht
leicht. Es gibt Abende, da weiß ich schon vorher, daß ich
nicht da vorne stehen kann, dann sage ich ab. Denn wenn man vor die Zuschauer
tritt, gibt man sein Einverständnis, mit den Menschen im Kino zu
reden. Und das sollte man einhalten können. Aber ich habe auch schon
unglaublich ermutigende Momente erlebt. Nach der Vorstellung von »Verhängnis«
im New Yorker »Museum of Modern Art« zum Beispiel, da stand
im Publikum eine Frau aus Osteuropa auf und sagte nur einen Satz:»Das
ist einfach die Wahrheit« - und ging. Das hat mich sehr berührt.
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Aus: Film und Fernsehen, Potsdam 1997, Heft 5+6, herausgegeben vom Filmverband
Brandenburg
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