» DIENA | 17.09.2003 | Text: Undine Adamaite
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Etwas Gutes ist geschehen
12 junge Kameraleute absolvieren die LKA mit dem übereinstimenden Verständnis: Kino ist Kunst

Die Zeitungen sind tagtäglich voll von schauderhaften Geschichten. Dieses Mal halte ich es für meine Aufgabe als Kulturschaffende mitzuteilen, dass auch etwas Gutes geschehen ist, und hoffe, dass im weiteren professionelle Filmkritiker den Staffelstab für eine profundere Bewertung übernehmen. Zwei Tage am Ende der vergangenen Woche haben 12 Kameraleute der Lettischen Kulturakademie (LKA) im Großen Saal des Filmtheaters „Riga“ ihre Diplomarbeiten vorgestellt: die im Workshop des deutschen Filmregisseurs Fred Kelemen gedrehten Kurzfilme sowie 2 Filme in voller Länge. Aleksandrs Grebnevs, Valdis Celminsch, Linda Olte, Inese Kljava, Andra Vasilevska, Astrida Konstante, Mara Spridzane, Liene Neimane, Arturs Nikolaevs – alles Leute, deren Werke zweifellos ein interessantes Zukunftspotential sowohl für den Dokumentar- als auch für den Spielfilmbereich bergen.

Pracht der Filmszene

Es duftete nicht nur nach Blumen, als man die Diplome der TV- und Videokameraleute ausgehändigt bekam, sondern auch nach dem richtigen Kino. Nach dieser fesselnden Filmkunst, wo die Bilder nicht durch Zufall bestimmt sind, wo die Bildkomposition, das Licht- und Schattenspiel und die Kameraeinstellung ganz bewusst auf die Goldwaage gelegt werden und wo die Standbilder auf Fotoausstellungen mitausgestellt werden könnten. Ich sehe ein, dass Profis in diesen Streifen möglicherweise Schülerisches bzw. Fehlerhaftes entdecken, dennoch befriedigt das Filmprogramm insgesamt die Intellektuellen dieses Berufes. Insbesondere in diesem „alles fressenden“ TV- und Video-Zeitalter, wo man als „Film“ all das bezeichnen darf, was die Kamera wie ein Staubsauger eingesaugt hat. In diesen Studentenarbeiten spürt man das inzwischen zerronnene Wissen über die Filmgeschichte: Die Filmszenenpracht des „Goldenen Zeitalters“ der Filmkunst, die besondere Licht/Schatten-Erfahrung des deutschen Expressionismus, den Einfluss der französischen „Neuen Welle“ usw. Frau Inga Perkone-Redovica, Leiterin des Lehrstuhls für Film- und Theaterkunst der LKA, unterstrich in ihrer Eröffnungsansprache, dass dies ein Ereignis im Kulturleben Lettlands im unformellen Sinne des Wortes sei, denn „...in der lettischen Filmkunst ist eine Generation entstanden, die diese Welt, in der wir jetzt leben, fühlt. Mehrere Filme übertreffen die 1. Stufe – die des Bakkalaureus – und ich kann mir kaum ausmalen, was sie weiter tun werden.“

Es sei bemerkt, dass mehrere Kameraleute gleichzeitig Drehbuchautoren und Regisseure ihrer Filme sind, so dass sie, für meine Begriffe, durchaus Anspruch auf die entsprechenden Diplome hätten. So wie Frau Perkone-Redovica es tut, könnte man meinen, dass man mit einigen dieser Filme erfolgreich an internationalen Filmfestivals (zunächst, vielleicht, an Studentenfilmfestivals) teilnehmen könnte. Ich würde „Die Flucht“ von Elina Bandena, „Das Fernglas“ von Valda Celminja, „Moskatschka“ von A. Grebnevs, „Tropfen“ von Ieva Konstante zum Festival schicken, und mir über „Schreie!“ von Linda Olte und „Kleines Leben“ von Astrida Konstante diesbezüglich Gedanken machen.

Mit der vervollkommneten Filmsprache

Kalvis Zalcmanis, Professor der LKA, hebt die nicht zu überschätzende Bedeutung des Dozenten dieses Kurses Fred Kelemen, Kameramann und Regisseur, hervor. Zum erstenmal sind sie einander bei den Jahresarbeiten des 5. und 6. Semesters begegnet, beim nächsten Mal waren es Diplomarbeiten. „Vom Stil her gefallen ihm ausgedehnte, nicht zerrissene Filmszenen sehr, die einen freien Lauf des Geschehens ermöglichen. Das beeindruckt und ist in vielen seiner Werke zu spüren“. Als etwas Nennenswertes betont Prof. Zalcmanis, dass „dieser Kurs aus Gesinnungsgenossen besteht, die einander stark unterstützen,“ und dass die neue Filmkunstgeneration der Zwanzigjährigen „denkende Menschen sind, die einander vertrauen“. Über alles geht aber, dass „sie die Sprache der Filmkunst fühlen, fühlen das Licht. Das sind eher Spiel- als Videofilme, sie haben als Film- nicht als TV-Regisseure, die einfach irgendwelchen Sachen hinterherlaufen, agiert“. Und K. Zalcmanis schlussfolgert: Die neuen Kameraleute „nutzen die Ästhetik der Filmszenen sehr interessant aus.“

Ruhige und scharfsinnige

Die Genrepalette der Filme ist äußerst breit: Von einem Drama mit tragischen Ansätzen bis zur Komödie mit Witzelementen. Die Hauptthemen hier, wie auch in anderen Studentenarbeiten, sind Glorifizierung des Andersseins, des Sonderlings, es sind verschiedene Geschichten, die über den heute um so wichtigeren eigenen Weg erzählen, mit anderen Worten – über die Wahrung der Freiheit im Gegensatz zum gesellschaftlichen Götzenbild des „stilvollen Zeitgenossen“. Die Theorie darüber, dass die Jugend die modische Feinstilumgebung grundsätzlich ignoriere, „zerfällt“ teilweise, denn die Aufgabe war, gleich in der Umgebung der Kulturakademie, die bekanntlich alles andere als ein Botschaftsviertel ist, zu filmen. Diese Ignoranz verspürt man im Film dennoch im geistigen Sinne. Man wird das Gefühl nicht los, dass die Jugend des aufgeblasenen „Glamours“ der Epoche, gelinde gesagt, überdrüssig ist. Noch etwas Typisches: Zarte Annäherungsversuche – und Einsamkeit, immer wieder Einsamkeit... Die jungen Kameraleute erzählen sehr interessant über die Kindheit und arbeiten sehr interessant mit Kindern, indem sie der pastoralen Essayistik die Bergmannschen „Dämonen“ beimischen, wenn auch in einer schmerzlichen Erzählung. Und über all dem scheint das Gefühl sympathisch, dass diese Leute nicht von irgendwelchen besonderen sozialen, ideologischen oder ästhetischen Prinzipien, historischen oder privaten Komplexen gequält werden, die sie kalt-metaphorisch bzw. zänkisch-ambiziös machen würden. Die Generation scheint sich beruhigt zu haben, innerlich gesund zu sein. Sie ist in der Lage, in Untertiteln und Filmen den Müttern „danke“ zu sagen und mit dem Auge der Kamera die Nahaufnahme des Lebens – nicht nur sein Spiegelbild – zu erfassen.

Freude über den Film

Es ist angenehm, dass die neue Generation der Kameraleute in die lettische Filmkunst in einer Zeit gekommen ist, in der der Film besonders kreative und gesunde Belebtheit erfährt. Ohne persönliche Ambitionen und sonstige Kleinkrämerei legen die Filmleute ihre Intelligenz, Erfahrung und auch ideale Träume zusammen, um eine Filmstrategie zu entwickeln. Damit die in der Filmwelt angekommenen Leute nicht in einem schwarzen Loch oder in Apathie verschwinden, während sie alle Schritte auf dem Weg von ihrer Idee bis zum Erscheinen des Films auf der großen Leinwand meistern. Begabte „Leute hinter der Kamera“ gibt es in allen Generationen, von Uldis Brauns bis zu diesen jungen Absolventen.

Von Nichts kommt nichts, sagte Shakespeare vor vielen, vielen Jahren (er meinte wohl nicht die Situation um die lettische Filmkunst). Es scheint, als ob es momentan doch kommen könnte, denn es gibt etwas. Eine kritische Masse ist herangereift, damit wir nicht nur über die Quantität, sondern auch über die Gipfel der Qualität reden können. Für gewöhnlich stoßen alle Diskussionen um den Film auf das Problem „Geld“. Ganz klar – Kino ist ein teurer Spaß, einen Film kann man nicht mit einem Stück Holzkohle auf dem Zeitungsrand skizzieren. Aber wenn es am Anfang kein Mensch mit einer klaren und talentvollen Idee sowie mit der Fähigkeit, diese Idee zu verwirklichen, steht, werden all diese Geldnöte – Tscherwonez, Rubel oder Euro - einem steckengebliebenen Schneetreiben gleichen, wie die neulich neben der Nordea-Bank in der Altstadt aufgestellte Installation. Und umgekehrt. Fragt einfach die Dänen.

„Ich würde es bevorzugen, wenn Sie sich über unseren Film freuen würden“, - drosselte Uldis Tirons (Herausgeber d. Zeitschrift „Rigas Laiks“ – d. Übers.) in einem Interview mit dem Filmkünstler Reso Gabriladse dessen Komplimente an die Adresse unserer Fußballmannschaft herunter.

Die Filmparade von jungen Kameraleuten lässt hoffen, dass es irgendwann geschehen kann. Selbst wenn es in einem Staat, der den Status einer sportlichen Supermacht anstrebt, schwierig werden könnte. Bildunterschrift: Sehr interessant erzählen die jungen Kameraleute über die Kindheit, lobenswert ist ihre Fähigkeit, mit Kindern zu arbeiten, indem sie der pastorale Essayistik die Bergmannschen „Dämonen“ beimischen, wenn auch in einer schmerzlichen Erzählung. Hier: Lucija Cejcane als Emilija in „Die Flucht“ von Elina Bandena.
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Undine Adamaite, 19.09.2003 DIENA
Übersetzung aus dem Lettischen