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Neues Deutschland 10./11. Februar 2007 (unter dem Titel „Selbstbefragung
vor blindem Spiegel“)
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Im blinden Spiegel
Kritische Fragen zu Dani Levys Film „Mein Führer“
Kennen Sie den? – Adolf Hitler als boxendes Senfwürstchen.
Oder den? – Adolf Hitler als impotenter Bettnässer?
Darf man über Hitler lachen? Diese, im Zusammenhang mit dem Film
„Mein Führer“ von Dani Levy öffentlich gestellte
Frage, ist im Jahre 62 nach Adolf lächerlich. Sie wurde schon zu
Lebzeiten des „Führers“ intelligent von Charles Chaplin
beantwortet. Auch wenn dieser später sagte, er hätte den Film
nicht gedreht, wenn er schon damals vom Ausmaß der Judenvernichtung
gewußt hätte.
Darf man über Hitler lachen? Wir leben inzwischen nicht mehr im Dritten
Reich, wo diese Frage tatsächlich relevant war. Zu dieser Zeit wurde
ein ehemaliger Mitschüler Adolfs hingerichtet, weil er eines Abends
in einer Kneipe erzählte, er, Adolf und andere Mitschüler hätten
sich einmal einer Mutprobe unterzogen, die darin bestand, einem lebenden
Ziegenbock ins Maul zu pinkeln. Als Adolf an der Reihe war, hätte
der Bock zugeschnappt und ihm den Pimmel abgebissen. Diese Geschichte
wurde von einem Mann am Nebentisch mitgehört und wenig später
wurde Adolf Hitlers ehemaliger Mitschüler verhaftet und exekutiert.
Darf man über Hitler lachen? Stellt der Regisseur Dani Levy diese
Frage im Jahr 2007 im Ernst? Oder ist das nichts anderes als Koketterie
und Strategie, mit der Aufmerksamkeit auf diesen Film gelenkt werden soll?
Der Lachmuskel ist kein ausreichender Ersatz für das Hirn. Angeblich
soll das Lachen über Hitler subversiv entlarven, daß er ein
„lächerlicher, armseliger“ Kerl war. So jedenfalls äußerte
es Dani Levy in verschiedenen Interviews. Doch gerade das war Hitler nie.
Die Witze, die nun Levys Film über ihn macht, gleichen denen des
Kindes, das seinen autoritären, brutalen Vater nicht anders bewältigen
kann, als hinter seinem Rücken Witze über ihn zu reißen.
Und so nichts „bewältigt“.
Die Komödie, die Satire, die Posse als der Gesellschaft entegegengehaltener
Spiegel der das entlarvende, Erkenntnis fördernde Lachen provoziert,
hat Analyse, Erkenntnis und eine Haltung seitens des Autors zur Voraussetzung.
Der Spiegel des Dani Levy ist blind, er reflektiert nichts. Und kein Lachen
bleibt hier im Hals stecken. Dieser seichte, biedere Film geht an allem
vorbei, was wesentlich am „Fall Hitler“ sein könnte,
und leistet damit nach Oliver Hirschbiegels „Der Untergang“
einen weiteren Beitrag zur Banalisierung und somit Verschleierung der
Kausalitäten und Hintergründe.
Darf man über Hitler lachen? Von wem oder was soll uns das Lachen
befreien? Soll es uns von Hitler befreien, damit wir uns endlich nicht
mehr mit ihm auseinander setzen müssen, nicht mehr mit uns und unserer
furchtbaren Vergangenheit, in deren Schatten wir auch heute noch leben,
und die noch erschreckend in uns lebt? Oder soll unser Lachen ihn von
uns befreien? Von unserer Scham, unserem Schmerz, unserer Schuld oder
Verantwortung, von unserer Verzweiflung, den Alten nicht los zu werden?
Wenn wir das Dritte Reich dann in die Tiefe des Vergessens fort gelacht
haben, sind wir dann endlich frei?
Im Jahr 1951 schrieb Theodor W. Adorno in „Kulturkritik und Gesellschaft:
„ Nach Auschwitz ein Gedicht zu schreiben, ist barbarisch.“
Daraus sprechen noch ganz der Schrecken und das Erschaudern und ethische
Verantwortung. Heute, 56 Jahre später, hat Dani Levy einen Pakt mit
der Harmlosigkeit geschlossen, um verkaufswirksam einen Film in die Kinos
zu bringen. „Hitler sales.“ - Levy weiß das. Und auch
wenn es wirtschaftlich funktioniert, mindert das nicht den Zynismus, der
darin steckt. Denn Hitler ist ohne Schmerz nicht zu bekommen. Alles andere
ist verlogen.
So über Hitler zu lachen, heißt: an ihm zu scheitern. Oder
war er doch nicht so gefährlich, so destruktiv, räuberisch,
militant, verachtend, sein Handeln nicht so verbrecherisch ? War er eher
der etwas verstörte alte Herr aus Oliver Hirschbiegels „Der
Untergang“, wie er jetzt in „Mein Führer“ in etwas
lächerlicherer Variante wieder vor uns steht? In Dani Levys Film
erklärt Hitler, er habe die „Endlösung der Judenfrage“
so gar nicht gewollt, ihm hätte es gereicht, die Juden in die Wüste
zu schicken, nach Madagaskar. Andere haben ihn wohl dazu gedrängt.
Wie in „Der Untergang“ gibt es auch hier Nazis und Deutsche.
Und schon zu den letzteren gehört Adolf Hitler ja nicht. Und vielleicht
ist es auch nur ein Gerücht, daß Adolf Hitler Antisemit war?
Ist Hitler unschuldig? In Dani Levys Film sagt der Jude zu seiner Frau,
als sie den im Bett zwischen den beiden schlafenden Diktator mit einem
Kissen ersticken will, sie dürfe das nicht tun, denn wenn sie das
täte, mache sie sich ebenso schuldig wie er, der Tausende Unschuldiger
getötet hätte. Er sei doch auch nur ein ungeliebtes Kind. Diese
Szene ist in dem Film nicht als Witz angelegt – worin sollte hier
auch der Witz bestehen? - und läßt nach der Haltung des Regisseurs
fragen. Meint er diesen Satz ehrlich? Oder hat er einfach keine Haltung?
An dieses Thema ohne Haltung heran zu gehen, wäre noch furchtbarer,
als diesen von dem Juden geäußerten Gedanken ernst zu meinen.
Dient das Thema des Filmes nur als Spaßhintergrund? Wer so nachlässig
und gedankenfaul mit dem Stoff umgeht, banalisiert das Verbrechen und
arbeitet mit an einem geistigen Klima, in dem Szenen möglich sind
wie jene deutscher Bundeswehrsoldaten, die sich in Afghanistan grinsend
mit Totenschädeln unbekannter Menschen fotografieren lassen. Just
for fun.
Darf man über Mengele lachen? Kann man über Mengele lachen?
Wer über Mengele lacht, verhöhnt, seine Opfer. Hat Adolf Hitler
keine Opfer zu verantworten? Hat er von Auschwitz nichts gewußt?
Ist er harmloser als Mengele? Wer kann über Mengele lachen? Wer über
Hitler?
Vielleicht mag mancher über den Adolf-Hitler-Darsteller Helge Schneider
lachen. Daß ausgerechnet Dani Levy, der in letzter Zeit betont als
„jüdischer Regisseur in Deutschland“ auftritt, vorgibt,
den Deutschen helfen zu wollen, Hitler loszuwerden, ihn sich von der Seele
zu lachen, ist zumindest grotesk.
Wenn am Schluß, nachdem der Film schon zu Ende ist, als „Bonus-Track“
vermeintlich dokumentarisch aufgenommene Interviewfetzen zu sehen sind,
die in Kinderfernsehmanier zu zeigen versuchen, daß der gemeine
Deutsche heutzutage nicht weiß, wer Adolf Hitler war, wird diese
Unwissenheit lediglich als letzte Spaßvariante benutzt, um die Banalisierung,
die der Film zuvor betrieben hat, zu rechtfertigen.
Wer einen Film über das Dritte Reich dreht, dreht auch immer einen
Film über die Gegenwart.
Das Problem „Hitler“ ist ein Problem des deutschen Volkes
und der Deutschen und es ist ein Ereignis auch jüdischer Geschichte.
Es ist mit Sicherheit kein schlechter Witz und keine banale Psychonummer
mit einem ehemals ungeliebten Kind in der Hauptrolle.
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Fred Kelemen
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