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Film ist Höhlenmalerei | Mit Fred Kelemen sprach Erika Richter
| Juni 2002
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Fortsetzung Text: Film ist Höhlenmalerei
Theatererfahrungen
E. R.: Was bedeutet Theater für Dich.
F. K.: Theater ist anders. Die Arbeit ist zum Teil kreativer, weil die
eigene Energie nicht schon aufgebraucht ist, bis man überhaupt Geld
bekommt - wie das beim Film oft der Fall ist. Beim Film hat man sehr viele
Kämpfe auf Nebenschauplätzen zu führen, sehr viele Umwege
zu gehen, bis man mit der direkten, kreativen Arbeit beginnen kann. Theater
ist dagegen ein sehr direkter, kreativer Vorgang. Man probt zwei, drei
Monate, und dann, mit der Premiere, gehört das Stück, die Inszenierung
den Schauspielern, die es jeden Abend an die Zuschauer weitergeben. Ich
spiele dann als Regisseur keine Rolle mehr. Das finde ich auch sehr schön.
Beim Theater muß man auf eine andere Art loslassen. Es gibt Filmregisseure,
die sich nicht vorstellen können, am Theater zu arbeiten, weil sie
nicht ertragen, daß sie nicht alles kontrollieren können. Es
ist ein freieres Arbeiten am Theater. Man muß zum Beispiel nicht
ständig erklären, warum man etwas braucht, wofür, usw.
Und auch in den kreativen Prozeß sind von außen keine Leute
involviert oder erheben den Anspruch, involviert zu sein. Beim Film denkt
jeder, der Geld gibt, er könne inhaltlich mitreden, hätte sogar
ein Recht darauf. Wenn ich gefragt werde, ob hast ich Lust hätte,
an einem bestimmten Theater zu inszenieren, weiß ich genau, daß
ich gemeint bin, daß meine Arbeit gemeint ist, meine Art, an ein
Stück heranzugehen und es so zu inszenieren, wie ich es sehe. In
dem Moment, wo ich für ein Stück, eine Inszenierung engagiert
bin, gibt es ein Grundvertrauen in meine Arbeit. Dadurch bin ich wirklich
auf die Arbeit konzentriert, auf die Schauspieler, das Bühnenbild,
das Kostümbild, die Imagination und nicht mit diesen etlichen Nebenschauplätzen
beschäftigt, die es beim Film gibt, wo man zum Teil fürchterliche
Kriege führt, absurdeste Diskussionen führt, weil es kein Vertrauen
gibt. In dem Sinne ist Theater freier. Es ist anstrengend, es sind zwei
Monate harte Arbeit, aber es ist kreativ. Die verantwortlichen Personen
sind ansprechbar. Ich kann mit dem Intendanten reden. Ganz direkt. Was
es beim Film häufig nicht gibt. Ich würde gerne mit Filmförderern
oder den Mitgliedern von Auswahlkommissionen bei Filmförderungsanstalten
reden. Aber die sind oft nicht erreichbar. Man bekommt nur über indirekte
Wege irgendwelche Entscheidungen mitgeteilt, die nicht einmal begründet
werden. Dadurch gibt es keine Möglichkeit zur Auseinandersetzung
oder zum Verständnis. Um einen Film zu realisieren, braucht man Geld.
Um das zu bekommen, muß man unendlich viel erklären, was zermürbend
ist, weil man Dinge erklären muß, die man unter Umständen
nicht erklären kann oder deren Erklärung entzaubert und vieles
zerstört, das man als intuitives Wissen in sich trägt. Der Dämon
des Zweifels kann sich dann einnisten. Und zweifeln kann man bekanntlich
an allem, auch am Sinn unserer Existenz. Doch das verhindert jede Kreativität.
Man muß durch eine Mühle, in der man sich tausend und abertausend
mal seine Ideen zersetzen, zermalmen läßt. Mit letzter Kraft
hält man noch etwas davon fest. Ist der Film fertig, sind unter Umständen
mehr als zwei Jahre vergangen, seitdem man die Idee hatte. Das ist Horror.
Der Mangel an Vertrauen ist ein großes Problem im Filmbereich.
E. R.: Hattest Du keine Furcht, als Du
Deine erste Inszenierung "Desire" (nach "Desire under the
Elms" von Eugene O«Neill) machtest?
F. K.: Beim ersten Mal ist man frech und springt einfach rein. Wenn es
klappt, klappt es, wenn nicht, hat man halt Pech gehabt. Beim ersten Mal
habe ich es einfach so getan, wie ich es fühlte, wie ich dachte,
daß es richtig wäre und wie ich es im Lauf der Proben mit der
Dramaturgin Bettina Masuch, mit der es eine sehr schöne Zusammenarbeit
gab, immer wieder besprach. Der Austausch mit jemandem, der kreativ mitdenkt,
ist immer wichtig. Man kann sich über einen anderen ein bißchen
selber kontrollieren. Am Tag der Premiere verspürte ich einen Moment
lang ein leichtes Zittern. Wir hatten so lange daran gearbeitet und hatten
den Eindruck, dass es so, wie es war, gut genug war, sich damit vor ein
Publikum zu wagen, eben auch die Schauspieler damit einer Öffentlichkeit
aussetzen zu können, ohne sich schämen zu müssen. Wenn
es dann durchgefallen wäre, das wäre natürlich traurig
gewesen. Da hatte ich etwas Sorge. Aber erst ganz kurz vor dem Beginn
der Vorstellung. Und dann noch einmal kurz vor dem Schluß. Vor allem
auch wegen der Schauspieler, die natürlich ganz anders ausgesetzt
sind, als die Schauspieler beim Film. Am Theater müssen sie das Stück,
die Inszenierung Abend für Abend tragen, und dabei ist wichtig, daß
sie die Chance haben, auf der Bühne zu überleben. Daher ist
die Zusammenarbeit mit den Schauspielern so wesentlich. Es ist wie ein
gemeinsamer Tanz. Sehr viel hängt vom Vertrauen ab, das man sich
gegenseitig gibt. Ich setze grundsätzlich sehr viel Vertrauen in
die Schauspieler, mit denen ich arbeite; auch Liebe. Wenn ein Schauspieler
sein Vertrauen von Anfang an verweigert, kann es zu keiner gemeinsamen
Arbeit kommen, es ist dann kaum möglich, einen gemeinsamen Schritt
zu tun. Wenn man beim Tanzen dem führenden Partner mißtraut,
jeden Schritt, den er andeutet, in Frage stellt, sich also dem Fluß
der Bewegung, der Musik, dem Körper des anderen nicht überläßt,
kann kein Tanz daraus werden. Meine positive Erfahrung mit den Schauspielern
der Volksbühne resultiert zu großem Teil aus der Offenheit
und Bereitschaft, sich einzulassen, die mir Fabian Hinrichs, Hendrik Arnst,
Winfried Wagner und Kathrin Angerer, die ich für eine der besten
und interessantesten Schauspielerinnen in Deutschland - nicht nur im Theater
- halte, entgegenbrachten.
E. R.: Du sprachst letztens von Theater
als einem fortwährenden Prozeß, der ab einem bestimmten Zeitpunkt
mit Publikum stattfinden könnte.
F. K.: Im Unterschied zum Film findet Theater jeden Abend neu statt, es
muß jeden Abend neu erstehen. Allein aufgrund der Tatsache, daß
sich lebendige Schauspieler auf der Bühne bewegen und eine Inszenierung
nichts Fixiertes ist wie ein Film, ist jeder Abend anders. Wenn man das
weiterdenkt, ist es absurd anzustreben, daß jeden Abend auf die
gleiche Weise gespielt wird. Will man die Wiederholbarkeit, ist Film besser
geeignet. Von da her wäre es wesentlich interessanter, auf so etwas
wie eine Premiere zu verzichten und stattdessen von einem bestimmten Moment
des Probenprozesses an, ab dem man es für vorzeigbar hält, Zuschauer
an diesem Prozeß teilnehmen zu lassen. Jeden Abend könnte etwas
geändert werden, da man unter bestimmten Aspekten immer wieder etwas
neu beleuchten kann, so daß ein Zuschauer, der am Dienstag die Vorstellung
besucht, etwas anderes sieht als der, der am Montag oder Mittwoch dabei
ist. Kleinste Veränderungen können manchmal einen ganzen Abend
verändern. Das fände ich sehr interessant.
E. R.: Das würde aber bedeuten, daß
die Inszenierungen immer weiter begleitet werden.
F. K.: Ja, das würde bedeuten, daß für die Aufführungsdauer
der Regisseur und die Schauspieler an dem Ganzen weiter arbeiten. Das
würde es sehr lebendig machen, würde sich nicht vom Leben abspalten
und eine Wiederholbarkeit behaupten, die letztlich gar nicht existiert,
sondern den Prozeß des Veränderns in die Arbeit einbeziehen.
Dann muß man so etwas vielleicht auch nicht ein Jahr lang oder länger
spielen. Man könnte auch ausschließlich auf eine Premiere hin
arbeiten, indem man zwei Monate probt, und es dann nur die Premiere als
einmalige Aufführung gibt. Einfach aus dem Gedanken heraus, dem Theater
das Repetitive zu nehmen. Entweder ist es jeden Abend anders, richtig
anders, oder eben nur einmal zu sehen und dann nie wieder.
E. R.: Das wäre ja verrückt.
F. K.: Möglich. In der Musik ist es ja so. Ein Konzert in der Philharmonie
findet einmal oder zweimal statt, und dann war' s das. Das könnte
man im Theater genauso tun. Der Gedanke des Prozesses ist ja nicht neu.
Peter Brook zum Beispiel läßt sehr früh Zuschauer in die
Proben und arbeitet sehr bewußt mit dem Gedanken, daß Theater
eigentlich "work in progress", nie etwas Fertiges, Festes ist.
E. R.: In Deinen Theaterinszenierungen
spielt Film eine spezifische Rolle.
F. K.: Bei "Desire" habe ich aus Film und Theater kein Mischmasch
hergestellt, aber beides gemeinsam in den Abend gestellt und in einen
Dialog treten lassen. Ich habe das Stück zersplittert, einen Teil
jeden Abend auf der Bühne stattfinden lassen und einen anderen Teil
des Stücks mit den Schauspielern vorproduziert, richtig als einen
fragmentierten Film gedreht, der auf zwei Leinwände projiziert wurde.
Für mich war das ein erster Schritt. Jetzt interessiere ich mich
dafür, wie man das weitertreiben kann. Deswegen werde ich bei der
nächsten Arbeit ("Fahrenheit 451" in Hannover) auch stark
mit Leinwänden und vorproduzierten Bildern arbeiten, also richtige
Dreharbeiten mit den Schauspielern haben. Dafür ist fast ein ganzer
Monat geplant, für das Drehen, Schneiden, Vertonen. Es wird also
wieder ein fragmentierter Film sein, da nur ein Teil als Film existieren
wird, den anderen Teil wird das Geschehen auf der Bühne bilden. Also
wieder der Versuch, das Theater um das Kino, und das Kino um das Theater
zu bereichern, so daß etwas Drittes daraus entsteht, was unter Umständen
- hoffentlich - eine Qualität hat, die weder das "reine"
Theater, noch der "reine" Film hat, wo das eine ohne das andere
nicht existieren kann und nur in dieser Kombination Sinn macht. Doch es
wird anders als "Desire" sein. Die beiden Ebenen Film und Bühne
werden inhaltlich andere Funktionen haben, werden anders kodiert sein.
E. R.: Du hast in den Sophiensälen
im Winter "Stammheim proben" von Oliver Czeslik inszeniert.
War die Beschäftigung mit der RAF eine Art von Nostalgie?
F. K.: Nein, natürlich nicht. Ich glaube, daß das ein sehr,
sehr wichtiges Thema ist. Es weist einerseits in die Vergangenheit, also
in die Zeit des Nationalsozialismus hinein, wo es auch einen Ursprung
hat, weil diese Bewegung stark damit zu tun hatte, Widerstand zu sein
gegen das Erbe des deutschen Faschismus. Und zugleich weist es in die
Gegenwart aufgrund der Tatsache, daß die Generation, aus der damals
die Mitglieder der RAF kamen, heute an der Macht ist, die Regierung bildet.
Wenn man das bedenkt, stellt man fest, daß es kein nostalgisches
Thema ist, sondern ein aktuelles. Wenn man sich Politik heute anschaut,
findet man viele Dinge, die darauf hinweisen.
E. R.: Zum Beispiel?
F. K.: Ich finde zum Beispiel solche Sätze wie "Nie wieder Krieg!",
"Nie wieder Faschismus!" oder "Nie wieder Auschwitz!",
was damals durchaus ein Standpunkt der Generation und auch der RAF war,
in dem Moment einen ganz schwierigen Punkt, wo sie heute von der Regierung
als moralisches Schutzschild benutzt werden, um zum Beispiel Belgrad anzugreifen.
Da entsteht für mich ein Dilemma, politisch, da die Generation, der
ich geburtsmäßig zugehöre, der Generation gegenüber-steht,
die jetzt die Regierung bildet. Sie hat ihre sogenannte 68er-Erfahrung
auf ihrer Seite, sie war diejenige, die "dagegen" war. Und jetzt
ist sie an der Macht und gehört natürlich moralisch nicht zu
den Faschisten und Autoritären etc., gegen die sie angeblich aufbegehrt
hat. Sie sind ja nicht die Faschisten. Sie kommen nicht aus der Generation
ihrer Väter, sie gehören nicht zu den Tätern, sondern sie
haben sich gegen die Generation der Täter gewehrt. Daher ist es nun
schwer, sie anzugreifen, wenn so ein Überfall auf Jugoslawien mit
dem Hinweis auf Auschwitz, mit einem Satz wie "Nie wieder Auschwitz"
gerechtfertigt wird, weil einem dabei eigentlich jeder moralische Angriffspunkt
entzogen wird. Das ist absurd. Das ist ein wichtiger Punkt, der auch in
der Inszenierung ganz klar benannt wurde.
Wenn man sich die Texte von Ulrike Meinhof ansieht, bemerkt man auch,
daß vieles von dem, das sie damals zum Teil noch visionär beschrieb,
heute eingetroffen ist. Auch ist auffällig daß bestimmte Gedanken,
bestimmte Argumente und eine bestimmte Sprache sich nicht von den Äußerungen
von regierenden Politikern unterscheiden. Einige Texte von Ulrike Meinhoff
formulieren Gefahren, die inzwischen Realität geworden sind, und
es ist interessant zu sehen, daß vieles davon heute von den regierenden
Politikern verteidigt wird mit denselben Argumenten, mit denen sie damals
davor warnte. Das ist nicht unwichtig. Zumal die Geschichte der RAF in
Deutschland in keiner Weise aufgearbeitet ist, genauso wenig wie die Nazi-Zeit.
Die RAF-Geschichte ist einfach irgendwann erledigt worden. Mir fällt
auf, daß es schwer ist, sich mit diesem Thema in einer künstlerischen
Form zu beschäftigen, ohne Vorwürfe von Mitgliedern jener Generation
zu bekommen. Das Thema scheint ihnen allein zu gehören. Ein anderer
darf da nicht ran. Wenn jemand aus meiner Generation den Versuch begeht,
sich dazu zu äußern, trifft ihn sofort den Vorwurf, der Sentimentalisierung
oder Romantisierung. Am liebsten wäre es ihnen, das Thema würde
gar nicht angetastet. Es ist ein Tabu. Interessanterweise.
E. R.: Meinst Du, daß die Generation
von damals das Recht für sich beansprucht, die Alleinigen zu sein,
die das bearbeiten dürfen?
F. K.: Ich glaube, daß die Generation von damals das Recht für
sich beansprucht, das Siegel des Schweigens darüber zu legen. Da
sind viele Sachen noch unklar. Ich glaube auch nicht, daß Dinge
bearbeitet werden, solange bestimmte Politiker Einfluß haben. Die
Geschichte ist mit Sicherheit nicht bearbeitet, ethisch nicht, psychologisch
nicht, auch politisch und ganz faktisch nicht. Es gab eine kleine Welle
von Filmen, die versucht haben, sich damit auseinander zu setzen. Mir
fällt auf, daß die Terroristen (das ist ein komisches Wort
heutzutage, der Begriff Terrorist ist inzwischen ja völlig aufgeweicht.
Es ist interessant zu beobachten, wie die Mitglieder der Regierung dieses
Wort jetzt benutzen, wenn man bedenkt, daß z.B. der Innenminister
einmal Verteidiger in den RAF-Prozessen war, und wenn man sieht, wie sie
sich jetzt verhalten und welchen Weg die seitdem gegangen sind. ), zumindest
in fast allen Filmen, die ich gesehen habe, denunziert werden. Sie werden
zum Teil vorgeführt und lächerlich gemacht. Es wird selten versucht,
zu verstehen, warum Terrorismus existiert hat und warum es Menschen gab,
die daran geglaubt haben. Es wird selten versucht, aus dem Blickpunkt
dieser Bewegung heraus das Ganze zu begreifen. Welche Gründe kann
es dafür gegeben haben? Womit wurde Terror gerechtfertigt? Das heißt
nicht, daß ich ihn rechtfertigen muß, aber in den Augen bestimmter
Leute war er durchaus ein legitimer Weg. Und ich finde, man muß
da hinsehen und es ernst nehmen und sich die Frage nach der Möglichkeit
von Legitimität von Terrorismus stellen und ihn nicht einfach politisch
korrekt abtun. Und das kann man nur, indem man sich in die Position von
jemandem versetzt, der das richtig fand, und diese Haltung, aus der heraus
einer das richtig findet, könnte man durchaus darstellen und nicht
von vornherein denunzieren.
Das würde bedeuten, auch die Gründe
darzustellen. Wie jemand wie Ulrike Meinhof dazu kommt, nicht mehr an
die Kraft des Wortes, des geschriebenen Wortes zu glauben, sondern nur
noch an die Kraft von Gewalt. Das, glaube ich, wäre die einzige Chance,
diese Bewegung zu verstehen. Aus dem Nachhinein, aus der Arroganz der
später Geborenen sie einfach zu denunzieren oder sie aus der sicheren
Distanz zu romantisieren, sind für mich keine Möglichkeiten,
damit umzugehen. Ein Mensch kann durchaus an den Punkt kommen, wo er das
Gefühl hat, daß er nicht angehört wird, daß er sich
wund schreien kann, ohne daß sich etwas ändert und wo er sich
sagt: Gut, hier wird man eigentlich nur überhört, hier muß
man vielleicht einen anderen Weg gehen. Das trifft nicht nur für
den Terrorismus der RAF in Deutschland zu. Diese Gedanken kann man sich
auch angesichts des Terrorismus machen, den wir gerade von verschiedenen
Seiten erleben auf der Welt, diese Fragen nach den Gründen von Terrorismus
kann man sich auch in diesem Zusammenhang stellen.
E. R.: Und aus diesen Überlegungen
heraus hast Du diese Inszenierung gemacht?
F. K.: Weil ich es ein wichtiges Thema finde. Es geht nicht darum, daß
man das schick findet oder daß man einen neuen Kult damit betreibt.
Es war ein ganz wichtiges menschliches und politisches Ereignis in der
Bundesrepublik. Zu untersuchen, wo das herkommt und wo das hinführt,
ist wichtig. Das hat ja nicht einfach aufgehört, sondern die Spur
ist bis heute verfolgbar, bis jetzt. Und der Terrorismus, der im Moment
von mehren Seiten ausgeübt wird, hat damit zu tun.
Lehrtätigkeit
E. R.: Ich habe in einem Informationsblatt des Forums gelesen, daß
Du Gastdozent, also Lehrer an der Filmschule in Barcelona bist.
F. K.: Ich bin kein Lehrer, eher eine Art Geburtshelfer für Ideen.
E. R.: Was bedeutet das für Dich?
F. K.: Für mich ist es persönlich wichtig, weil es mich zwingt
– nehmen wir an, das Seminar dauert zwei Monate –, in dieser
Zeit zu dienen und mich nicht um mein eigenes Ego zu kümmern, sondern
um das von anderen Leuten. Ich versuche, den Studenten zu helfen, ihre
Ideen möglichst optimal zu realisieren. Ohne große Verluste.
So konsequent wie möglich. Mir geht es nicht darum, daß sie
mir folgen, sondern daß sie ihren eigenen Weg finden. Ich führe
erst einmal eine große Unsicherheit ein, bemühe mich, alles
zu zerrütten, was sie zu wissen glauben. Durch diese Verunsicherung
bringe ich sie auf den wesentlichen Punkt, das Vertrauen in sich selbst.
Dabei entstehen auch Filme, die ich natürlich selbst nie so drehen
würde. Aber darum geht es auch nicht. Ich versuche praktisch von
jedem einzelnen zu erfahren, was er wirklich will.
E. R.: Was hast denn Du davon?
F. K.: Erst einmal ist es, wie ich schon sagte, für das Ego sehr
gut, es zwei Monate lang zurückzunehmen. Und es zwingt mich, elementar
über Film nachzudenken. Die Menschen, die mir begegnen, erweitern
mein Denken über Menschen, über das Leben und über die
Filmkunst. Jeder einzelne hat Anteil an meiner Lebenserfahrung. Das ist
eine unendliche Bereicherung. Wie denkt jemand, wenn er mit dieser Kunst
beginnt? Dann komme ich zum Beispiel darauf: "Ach ja, so war es bei
mir auch." Manchmal bemerke ich auch, daß ich in manchen Dingen
eingefahren bin, wenn ich zum Beispiel einer Idee nicht folgen will, oder
wenn ich einen Widerwillen verspüre dagegen, wie jemand etwas drehen
möchte. Ich habe zwar den Anspruch, erst einmal die Idee des anderen
verstehen zu wollen und ihm zu helfen, aber manchmal merke ich doch, daß
ich natürlich Vorlieben habe. Das zwingt mich also zur Arbeit an
mir selber. Das hilft mir, als Mensch reifer zu werden, offener.
E. R.: Und warum passiert das nun ausgerechnet
in Katalonien (und in der Schweiz und in Hong Kong) und nicht in Deutschland?
F. K.: Deutschland ist für mich ein Spezialfall. Von Anfang an bin
ich meinen Weg übers Ausland gegangen. "Verhängnis"
ist in München zum ersten Mal gezeigt worden. Ulrich Maaß,
der Leiter der deutschen Reihe, war damals einer der wenigen, der an den
Film glaubte. Er nahm ihn ins Programm. Von dort aus wurde er sofort nach
Toronto eingeladen, nach San Sebastian, und lief dann erst einmal sehr
lange im Ausland. Erst als ich dafür Preise im Ausland bekommen hatte,
kam er wieder nach Deutschland, wo ich später den Deutschen Filmpreis
dafür bekam. "Frost" lief auf ausländischen Festivals,
wurde dort mit Preisen ausgezeichnet, in Deutschland ist er fast nie gezeigt
worden. "Abendland" hatte Premiere in Venedig, kam im Ausland
in den Verleih und auch ins Kino, zum Beispiel in England, Norwegen usw.
In Deutschland ist er nicht gelaufen, obwohl er einen Verleih har. Von
den Direktoren oder Dozenten der Schulen in Barcelona oder Genf oder woanders
wurde ich angesprochen. Der Direktor der Filmschule in Barcelona zum Beispiel
sah in San Sebastian meine Arbeit und fragte mich, ob ich Lust hätte,
an seiner Filmschule zu unterrichten. Es war sein Wunsch. Ich sagte ihm,
daß ich das nie getan hatte, keine Ahnung davon hätte, es aber
gerne versuchen würde, auf meine Weise. Das war vor acht Jahren.
Ich erzähle in meinen Seminaren keine Theorien oder irgendetwas,
was die Studenten in Büchern lesen können, sondern ich arbeite
praktisch mit ihnen, und das sehr individuell. Das tue ich für zwei
Monate im Jahr in Barcelona oder für ein paar Wochen in Genf. Das
funktioniert auch sehr gut. Am Anfang ist es für die Studenten etwas
ungewohnt. Aber es gelingt ihnen sehr schnell zu verstehen, worauf es
ankommt, und es entsteht eine sehr intensive Arbeitsatmosphäre, die
sie schätzen. Sie wissen, daß ich sie ernst nehme, und daß
ich wirklich für sie da bin.
E. R.: Spielt es dabei eine Rolle, daß
es in Barcelona eine andere Kultur gibt? Romanische Kultur? Oder meinst
Du, daß das unwichtig ist.
F. K.: Es ist eine andere Kultur, die Leute gehen mit bestimmten Dingen
anders um, aber die Probleme sind überall ähnlich. Zumal die
Filmkunst natürlich eine universelle Sprache ist. Der Umgang mit
den Mitteln mag an manchen Orten etwas freier, weniger konformistisch
sein als an anderen. Die Direktoren und Dozenten der Schulen dort sind
vielleicht etwas mutiger oder offener als hier, und es gibt dort eine
andere Wertschätzung meiner Arbeit. Hier hat mich noch niemand gebeten,
ein Seminar zu veranstalten. Vielleicht ist ihnen nicht geheuer, nicht
genau zu wissen, was ich mit ihren Studenten anstellen würde. Dieses
Mißtrauen ist eine große Krankheit, diese Angst vor dem Anderen.
Das Andere - das kann eine andere Kultur sein, eine andere Art zu denken,
zu handeln. Obwohl es eine Qualität ist, wird es in Deutschland ausgegrenzt
und ist in den Gedanken als Gut, als Bereicherung nicht präsent.
Hier muß alles gleich sein, kalkulierbar und schnell einzuordnen.
Es gibt einen unglaublichen Kontrollwahn. Eine Art kulturellen Faschismus.
Der künstlerische Gestus erregt in Deutschland irrationale Abwehr,
sogar Aggression. Film hat nicht Kunst, sondern Massenmedium zu sein.
Das ist auch ein Grund dafür, warum die Filmkultur, warum das deutsche
Kino so öd ist. Es fehlen Mut, Vertrauen, Wille und Lust, einfach
etwas anderes zu probieren, etwas zu setzen, das abweicht, sich angreifbar
zu machen, sich in Gefahr zu bringen. Es gibt angeblich von Picasso einen
schönen Satz, der besagt, daß man, wenn man auf einem Seil
läuft und springt, natürlich auf die falsche Seite springen
kann, aber die Konsequenz daraus wäre, überhaupt nicht zu springen.
Das Nicht-Springen ist hier stark vertreten. Weil der Mut zum Sprung nicht
da ist. Es gibt ein entsetzliches Klammern an materielle Dinge. Wenn man
sich so festklammert, hat man bei jeder Bewegung Angst zu verlieren. Und
verliert dabei am meisten. Die Hand wird steif und irgendwann der ganze
Körper.
Mit dieser Arbeit an Filmschulen verbinde
ich noch ein anderes Interesse: Je besser es mir gelingt, Leute auf einen
bestimmten Weg, in eine mutige Richtung zu bringen, ihnen zu helfen, nicht
zurückzuschrecken, unkonventioneller zu denken, wahrhaftiger (ein
schwieriger Begriff, ich weiß), sich weniger in Klischees zu verfangen,
sich direkter und klarer mit dem Leben auseinander zu setzen, desto besser
sorge ich natürlich auch dafür, daß ein gewisses Denken
über die Filmkunst, eine gewisse Sensibilität ihr gegenüber
nicht so schnell verlischt, da sie von den massiv um sich greifenden kapitalistischen
Kriterien vollständig zerstört zu werden droht. Ich sehe bestimmte
Regisseure als einer aussterbenden Tierart zugehörig oder so etwas
wie einer Partisanenarmee, die allmählich immer kleiner und schwächer
wird. Und irgendwann gibt es kaum noch Leute, die sich einsetzen, die
sich widersetzen, und dann ist der Kampf verloren und etwas Kostbares
verschwunden. - Womit ich nicht meine eigene Arbeit meine. - Es ist also
der Versuch, diese aussterbende Tierart nicht so schnell aussterben zu
lassen. Denn solange die Sehnsucht nach dem "anderen" Kino -
neben dem bevorzugten kommerziell erfolgreichen - existiert, solange man
daran glaubt und diese Sehnsuchtsenergie da hinein fließen läßt,
wird es auch nicht aufhören. Natürlich ist die Beeinflussung
von der anderen Seite extrem groß, und deshalb ist es ein starkes
Interesse von mir, etwas dagegen zu setzen, den Studenten zum Beispiel
zu sagen: "Ihr müßt nicht glauben, daß Ihr mit Eurem
ersten Film an der Filmschule einen Kassenerfolg schaffen müßt.
Traut Euch, etwas auszuprobieren." Wenn einer mit einer Mafia-Story
zum Beispiel ankommt und selbst keine Mafia-Erfahrungen hat, setze ich
mich Stunden lang mit ihm hin und frage ihn nach der Essenz seiner Geschichte,
worum es wirklich geht. Vielleicht geht es um Verrat. Gut. Vielleicht
kennt er Verrat in seiner Familie, in seinem Leben, in seiner Biographie.
Vielleicht ist er schon einmal verraten worden. Ich rate ihm dann, den
ganzen Mafia-Scheiß wegzulassen, den er aus Filmen hat. Es geht
auch ohne. Ich versuche, ihn auf einen essentiellen und existentiellen
Punkt zu bringen, über das Leben nachzudenken, von seinen eigenen
Erfahrungen auszugehen. Ich veranlasse ihn, wirklich über Verrat
in seiner Biographie nachzudenken. Das kann natürlich weh tun. Aber
es hat den wertvollen Effekt, daß er am nächsten Tag mit einer
Geschichte ankommt, in der er tatsächlich erlebten Verrat verarbeitet
und künstlerisch umsetzt. Das hat mehr Kraft, als wenn einer irgendeinen
Film kopiert und einem die tausendste Mafia-Geschichte hinlegt.
E. R.: Das ist eine Art Psychotherapie,
F. K.: Letztlich kann man aus nichts anderem schöpfen als aus erlebtem
Leben, wenn man Filme dreht oder am Theater oder anders künstlerisch
arbeitet. Mein Leben - das ist meine Basis.Ich betrachte die eigene Erfahrung
als das wichtigste Rohmaterial der Erfindung. Wenn ich nicht umgehe mit
dem, was ich erlebt habe, was ich denke, was ich bin, wenn ich mich da
nicht rantraue, dann wird es keine Kraft haben. Dann ist es die Kopie
der Kopie der Kopie, und das ist einfach schlapp. Wenn ich aber in mein
eigenes Leben reingehe und da wirklich die Bilder raushole, ist auch die
Chance einer echten Kommunikation mit dem Zuschauer da, der in seinem
Leben unter Umständen Erlebnisse hatte, in die er die Bilder wieder
Übertragen kann, und dadurch etwas erkennt.
E. R.: Mit jenem Teil der Zuschauer, die
das Echte suchen. Denn die meisten sind an die anderen, "falschen"
Bilder gewöhnt und blind geworden.
F. K.: Gut. Mich interessiert aber natürlich der Teil, der noch kommunizieren
möchte. Ich bin einmal in London gefragt worden, wie ich damit umgehe,
wenn Leute aus meinen Filmvorführungen gehen. Ich habe gesagt, daß
das in Ordnung ist, denn wichtig für mich sind die, die bleiben.
Kommunikation hat etwas mit Einsamkeit zu tun, mit Kampf gegen Einsamkeit.
Ich glaube, Kunst hat die Möglichkeit, weniger einsam zu machen.
Wenn ich für ein echtes Erlebnis, für eine echte Berührung
ein Bild finde und ein Zuschauer dieses Bild wiederum umsetzt und versteht,
weil es eine Korrespondenz zu von ihm Erlebtem hat, dann, in dem Moment
ist Einsamkeit aufgebrochen, gibt es Kommunikation, dann entsteht dieser
magische Augenblick. In dem Moment sieht der Zuschauer sich darin wieder
und bekommt ein Bild für ein Gefühl, das er vielleicht nie artikulieren
konnte. Das entsteht jedoch nur, wenn es gelingt, ein wahrhaftiges Bild
zu finden, und dafür muß man zuweilen tief in sich hinab. Kunst
ist eine Möglichkeit, eine Sprache zu geben. Das ist eine Aufgabe
und eine Ver-antwortung. Weil nicht jeder Mensch eine Sprache für
das findet, was er vielleicht ausdrücken will. Die männliche
Hauptfigur in "Abendland" hat zum Beispiel keine Sprache mehr
und schlägt deshalb die Angestellte im Arbeitsamt an die Wand, weil
das seine einzige Möglichkeit ist, sich zu artikulieren. Wenn man
das weiter denkt, hat Kunst in diesem Sinn auch eine soziale Funktion.
Kunst ist Sprache, ist Kommunikation und hat, zumindest für einen
Moment, etwas damit zu tun, diese schreckliche Isolation und Einsamkeit,
in der wir uns befinden, aufzubrechen. Außerdem denke ich, daß
alles, was im Kino das "Andere" ist, auch politisch wichtig
ist. Wenn das "Andere" als Gedanke verschwindet, trägt
das dazu bei, eine Gesellschaft zu uniformieren. Es ist eine Aufgabe von
Kunst, immer wieder gegen eine Uniformierung des Denkens anzugehen. Es
geht nicht nur um Empfindungen wie Einsamkeit etc., auch wenn diese elementar
sind. Es ist politisch extrem wichtig, bestimmte Gedanken zu formulieren
und andere Menschen in diese Gedanken einzubeziehen, Dinge zu thematisieren,
die sonst nicht Thema sind, Fragen zu stellen. Kunst ist politisch wichtig,
solange sie nicht System-bestätigung betreibt. Aber dann würde
ich sie auch nicht unter diesen Begriff rechnen. Kunst ist Widerstand.
Kunst, die nur bestätigt, ist nicht notwendig, ist Propaganda, Staatskunst.
Konformismus ist schreckliche Enteignung des Einzelnen von sich selbst.
In unserer Gesellschaft gibt es einen starken Hang zur Konformität;
das geschieht freiwillig. Doch auch wenn der Druck groß sein mag
– Widerstand ist immer möglich.
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