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Film ist Höhlenmalerei | Mit Fred Kelemen sprach Erika Richter
| Juni 2002
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Fortsetzung Text: Film ist Höhlenmalerei
Menschen und Geschichten
E. R.: Ich möchte Dich gerne zu einigen Aspekten Deiner ästhetischen
Prinzipien fragen. Wenn die eigenen Lebenserfahrungen so wichtig sind,
heißt das, daß das Autobiografische für Dich von zentraler
Bedeutung ist? Welche Grenze ziehst Du zu dem Privaten? Und wie siehst
Du das Verhältnis von Erfahrung und Erfindung?
F. K.: Egal welche Form von Kunst man wählt, ob man Filme dreht,
am Theater inszeniert, Bücher schreibt, Bilder malt - für mich
ist es immer eine Form von Kommunikation. Ich als Mensch kommuniziere
mit Menschen. Das heißt aber nicht, privat zu sein, sondern zu versuchen,
an den Punkt zu gelangen, wo ich, unabhängig von meiner individuellen
Biographie, von meinen privaten Vorlieben usw. Mensch bin. Dazu ist es
wichtig, durch die Höllen, die man in sich hat, hindurchzusteigen,
sich wirklich kennen zu lernen. Der Satz des Orakels von Delphi "Erkenne
dich selbst" ist eine Aufforderung, um die man nicht herumkommt.
Unsere Furcht im Leben hat viel damit zu tun, daß wir uns eigentlich
vor uns selber fürchten. Vor den Dunkelheiten in uns, vor den Dämonen
in uns, vor unseren Wirklichkeiten und Möglichkeiten in die eine
oder andere Richtung. Wenn man es auf sich nimmt, sich diesen Dämonen
zu stellen, die Dunkelheiten zuzulassen, durch sie hindurchzukommen, dann
trifft man, glaube ich, auf einen Punkt in sich, wo man - es ist schwer,
mit Worten auszudrücken - ganz Mensch ist. Von diesem Punkt aus,
glaube ich, kann man mit jedem Menschen kommunizieren und genau diesen
Punkt bei einem anderen treffen. An diesem Punkt ist eine wirkliche Begegnung,
Kommunikation möglich. Es gehört allerdings Mut dazu, durch
das Ego hindurchzugehen, durch die Vorlieben hindurchzugehen, sich von
den Dingen, an die man sich klammert, mit denen man sich identifiziert,
über die man sich definiert, - was alles mit Egozentrismus zu tun
hat, zu lösen, die Dämonen zuzulassen usw. Wenn man keine Angst
mehr vor den eigenen Dämonen hat, hat man auch keine Angst mehr vor
den fremden. Wenn man diesen Punkt des Menschlichen in sich berührt
hat, dann, glaube ich, hat man jede Angst überwunden, die es überhaupt
im Leben eines Menschen gibt. Das hat nichts mit Privatheit zu tun. Es
geht nicht um private Geschichten. Alles, was nur privat ist, bleibt für
den anderen undurchsichtig, unerkennbar, unverständlich und kommuniziert
nicht. Ein Film sollte als in sich stimmiges Universum funktionieren.
Da kann ich durchaus Dinge hineinbringen, die mit meinen privaten Vorlieben
gar nichts zu tun haben, die sich aber zwingend als Teil der im Film dargestellten
Realität ergeben. Ich glaube, daß es so etwas wie eine Wahrheit
in der Kunst geben kann, und Film gehört natürlich zu den Künsten.
Das soll aber nicht heißen, daß Film die Welt abbildet, wie
sie ist, sondern die Wahrheit besteht im Zeichen oder im Bild von der
Welt. Ein Kunstwerk, auch ein filmisches, kann als Bild, als Zeichen wahr
sein.
E. R.: Hat nicht trotzdem diese Wahrheit
sehr viel mit Deinen individuellen Lebenserfahrungen zu tun?
F. K.: Auch, aber die Art von Wahrheit, die ich gerade meinte, hat nichts
mit dem Privaten, nur Persönlichen zu tun. Sie ist immer eine Verbindung
von vielem. Natürlich gibt es Imagination. Ein imaginiertes Bild
kann wahr sein. Es gibt Visionen. Es ist legitim, etwas so zu zeigen,
wie man glaubt, daß es sein könnte, auch wenn man es nicht
genau so erlebt hat, sogar wenn es noch nicht geschehen ist, wenn man
noch einmal davon gehört hat. Dennoch kann es wahr sein. Man kann
Dinge erzählen, die man nicht direkt erlebt hat, die aber innerhalb
der Wirklichkeit, die man mit einem künstlerischen Werk schafft,
stimmig und folgerichtig sind. Ein Zweifel ist immer da, zumal wenn man
keine Überprüfbarkeit durch Erlebtes hat und man sich fragen
kann, wo man das jetzt gerade hernimmt. Manche Dinge sind leichter vorstellbar,
ohne sie erlebt zu haben, an andere Dinge kommt man viel schwerer ran.
Und es gibt Dinge, bei denen es sich verbietet, über sie zu sprechen,
wenn man sie nicht erlebt hat. Es ist nicht nur wichtig, über alles
Mögliche reden zu wollen, es ist auch wichtig zu wissen, worüber
man schweigen muß. Ich habe das Bedürfnis, nur über Dinge
zu reden, die ich weiß, den Bereich von Spekulation auszuklammern
und nur von Menschen zu erzählen und von ihrem Leben, und zwar so
einfach, so klar und so wahrhaftig wie möglich.
Das Bedürfnis, über Menschen
reden zu wollen, ist für mich ganz banal aus dem einfachen Grund
wichtig, weil ich Menschen liebe, weil ich auch einer bin und mich mit
ihnen auseinandersetze. Ganz simpel. Weil ich den Menschen noch immer
als ein großes Geheimnis empfinde. Es lohnt sich, sich über
Menschen Gedanken zu machen und über sie zu reflektieren. Wir wissen:
" Vieles ist unheimlich, aber nichts ist unheimlicher als der Mensch."
Und das interessiert mich.
Von Menschen zu erzählen ist für mich wichtiger, als eine Geschichte
zu erzählen. Die Menschen zu Werkzeugen der Geschichte zu machen,
damit der Plot funktioniert etc., finde ich albern. Das bedeutet eine
Verflachung des Menschlichen. Menschen sind nicht Diener von Geschichten.
Das ist das, was ich meinte: von den Menschen ausgehen, nicht von der
Geschichte ausgehen. Natürlich schadet es nicht, auch eine Geschichte
erzählen zu können. Aber die Priorität wäre für
mich, den Menschen zu zeigen in seiner Komplexität, Widersprüchlichkeit,
Zerrissenheit usw. Die Geschichte ergibt sich dadurch von allein. Denn
das Verhalten der Menschen und die Situationen, die sich daraus ergeben,
sind das, was eine Geschichte entstehen lassen kann.
E. R.: Deine Filme verfolgen dieses Prinzip,
kommen aber zumindest zu einer Andeutung von Geschichte.
F. K.: Geschichten zu erzählen, finde ich auch interessant, aber
nicht auf Kosten der Menschen und Situationen, die die Geschichte, wie
gesagt, erst entstehen lassen. Es gibt keine Geschichten ohne Menschen.
Menschen sind Geschichten. Geschichten werden von Menschen gelebt. Das
Leben läßt sich nur leben. Wenn wir aber über das Leben
reden, dann ist das schon nicht mehr das Leben selber, das ist dann schon
eine Geschichte vom Leben. Da das Leben nicht von sich aus existiert,
sondern nur dadurch, daß es lebende Wesen gibt, sind es eben auch
die Menschen, die Geschichten erzeugen, dadurch, daß sie sie leben,
und nicht umgekehrt. Der polnische Regisseur Jerzy Skolimowski betrachtete
in den sechziger Jahren den Film nicht als die "Erzählung einer
Anekdote, sondern als etwas, das versucht, Aufschluß zu geben über
die geistige Landschaft des Helden". Ich würde immer versuchen,
mich davor zu hüten, die Menschen in eine Geschichte zu pressen.
Mir ist lieber, die Geschichte läßt den Menschen Raum und Atem
und Luft, als umgekehrt. Im übrigen gibt es seit dem Alten Testament
keine neuen Geschichten mehr.
Identifikation und Distanz
E. R.: Du hast einmal gesagt, daß Du es vermeiden willst, daß
sich der Zuschauer mit den Figuren identifiziert, vielmehr soll er auf
sich selber zurückgeführt werden.
F. K.: Sich mit einzelnen Figuren zu identifizieren, bedeutet, sich anstelle
des anderen oder den anderen an die Stelle von sich selber zu setzen,
was immer ein Ausschalten von kritischem Denken mit sich bringt. Ich finde
es wichtiger, daß der Zuschauer den anderen, den er auf der Leinwand
sieht, als anderen begreift. Es ist auch im Leben nicht gut, sich mit
einem anderen zu identifizieren, sondern es ist besser, sich mit sich
selbst zu identifizieren. Ich muß den andern als andern immer wahrnehmen
können, als fremd von mir, als anders, nur in Teilaspekten mir ähnlich.
Die vollkommene Identifikation, die manchmal gefordert wird, versuche
ich wirklich zu vermeiden. Es kann nicht Ziel eines Filmes sein, Figuren
zu schaffen, mit denen man sich identifizieren kann. Das würde voraussetzen,
zu fragen, wer identifiziert sich damit? Alle? Sind alle so gleich, daß
sich alle mit einer Figur identifizieren? Das leugnet doch jede Individualität.
Es geht darum, sich mit einer Problematik auseinander zu setzen oder sich
mit einer Situation zu identifizieren, die man vielleicht aus seinem Leben
kennt oder die man aufgrund seiner eigenen Biographie übertragen
kann.
Ein Film sollte aufgrund von Konflikten, die in jemandem auftauchen, ihn
zum Nachdenken über sein eigenes Leben anregen, weil er vielleicht
plötzlich Dinge sieht, die er in der Art noch nicht artikuliert oder
gedacht hat, sollte aber auf keinen Fall zur Identifikation mit einer
Figur führen. Die Figur muß ein anderer bleiben, zumal der
andere auf der Leinwand ja nicht einmal echt ist. Das macht es ja noch
absurder, sich mit einer Kunstfigur zu identifizieren und sie sozusagen
stellvertretend mein Leben leben zu lassen.
E. R.: Der amerikanische Film, ganz pauschal
gesagt, lebt davon, die Erfolgsfilme funktionieren nach diesem Prinzip.
Der Film, der dieses Prinzip willentlich ignoriert, muß andere Punkte
haben, um die Aufmerksamkeit oder die Anteilnahme des Publikums intensiv
an sich zu ziehen.
F. K.: Das liegt für mich ganz stark in der Problematik, die gezeigt
wird, in der Situation, in den zwischenmenschlichen Konflikten, die behandelt
werden. Ich kann mich auch mit einem Gefühl von Trauer von jemandem
identifizieren, wenn ich das Gefühl zumindest annähernd kenne.
Es geht um Begreifen, vielleicht um so etwas wie Mitgefühl. Ich beschreibe
Menschen, beschreibe Zustände, und diese Distanz ist mir wichtig.
Das ist auch keine Kälte. Das ist einfach eine Anteil nehmende Beobachtung.
Ohne da hineinzufallen, ohne mich aufzugeben und zu glauben, der andere
ist der, der etwas stellvertretend für mich tut. Tut er natürlich
nicht. Vielmehr soll der Zuschauer zu sich kommen, mit sich selber vielleicht
etwas identischer werden; auch, indem er sich in Frage stellt.
Ich bin auch immer auf der Suche nach einem Film, der sich traut, Distanz
zu halten, Distanz einzunehmen. Das ist etwas von den Dingen, die mich
berühren oder interessieren. Jemand, der den Mut hat, einen Film
zu drehen, der Distanz hält. Distanz zu Moden, Distanz zu vorgegebenen
Dogmen, Distanz zu Darstellungsweisen. Eine Distanz, die, wie ich finde,
zum Beispiel in einiger Musik von Gustav Mahler enthalten ist. Darin versuchte
er, etwas auszudrücken, was nicht einem Zeitphänomen oder einer
Mode unterworfen ist, sondern etwas zu reflektieren, das davon unabhängig
sind. Diese Musik kommt aus einem Universum, das von einem unabhängigen
Denken gebildet wurde, das auf der Suche nach etwas war, das nicht dem
Gängigen unterworfen war sondern etwas Dauerhafterem, Archaischem.
In diesem Sinne finde ich Distanz etwas sehr Erstrebenswertes. Nicht eingemischt
zu sein in das täglich Modische, nicht in so einer Strömung
unterzugehen. Distanz ist eine Möglichkeit, klar zu bleiben, einen
klaren Blick zu haben.
Das hat für mich auch eine politische
Ebene. Ich denke, daß es nicht erstrebenswert ist, daß sich
jemand mit einem anderem identifiziert und damit vor sich selber entflieht.
Sondern er sollte versuchen, mit sich selbst eine Deckung herzustellen.
Ein Mensch, der sich auf sich selber wirft und mit dem eigenen Leben klarzukommen
versucht, ist am Ende immer der Stärkere, der Selbstständigere,
der weniger Manipulierbare. Das hat alles mit meinem Glauben an eine bestimmte
Form von Individualität zu tun. Der Einzelne ist für mich letztlich
entscheidend und wichtig. Ich stelle mir eine ideale Gesellschaft nicht
als eine Masse von achtzig Millionen Menschen vor, sondern von 80 Millionen
mal einem einzelnen Menschen.
E. R.: Aber die Politik versucht, die
Menschen zu manipulieren. Deswegen wird diese Gesellschaft von 80 Millionen
Individualitäten vielleicht nie eintreten .
F. K.: Es sind aber 80 Millionen Individualitäten. Es ist ja keiner
wie der andere. Jeder hat seine Biographie, seine Würde, seine Kämpfe,
seine Verzweiflung, seine Lieben usw. Es sind 80 Millionen Individuen.
Die Frage ist natürlich, ob sie gesellschaftlich als 80 Millionen
Individuen wahrgenommen werden. In der Wirklichkeit sind sie das aber.
Da gibt es keinen Weg drum rum.
Es ist politisch wichtig, daß die Individualität, das Vertrauen
zu sich selbst gestärkt wird. Weil es letztlich den Einzelnen für
Manipulationen unangreifbarer und ihn weniger korrumpierbar macht. Dadurch
ist er weniger zu ver-einnahmen oder für Interessen zu funktionalisieren,
die nicht seine eigenen sind, wobei es natürlich zunächst wichtig
wäre zu verstehen, was die eigenen Interessen sein könnten.
Furchtlos zu werden, halte ich für eines der wichtigsten Dinge überhaupt
im Leben. Ohne den Versuch, Furchtlosigkeit zu erringen, sehe ich keine
Möglichkeit, bestimmte Probleme zu lösen. Solange die Furcht
herrscht, ist auch die Manipulierbarkeit da. Natürlich ist die Frage:
Wem nützt diese Furcht? Dem Einzelnen am wenigsten. Angst ist natürlich
auch ein Mittel, um Macht zu erhalten. Es wird permanent Furcht erzeugt.
Das ist elementarer Teil des Machtspiels.
Angst
E. R.: Woher kommt diese Angst, die man in den verschiedensten Situationen,
etwa wenn man jemanden kennen lernt oder wenn man in eine neue Lebenslage
kommt, immer wieder empfindet?
F. K.: Angst vor dem andern mag eine umgeleitete Angst vor sich selbst
sein. Weil man vielleicht in sich selbst doch noch nicht jede Ecke beleuchtet
hat und nicht genau weiß, was da hochkommt, was da angesprochen,
was da ausgelöst wird. Wer sich furchtlos in sich selbst hinabgestürzt
hat und da hindurchgekommen ist, hat keine Angst vor dem anderen. Doch
diese Angst ist überall, sie ist verbreitet wie eine Seuche. Auch
auf den Film bezogen, gibt es diese schreckliche Angst. Damit hat es auch
zu tun, warum viele Filme so aussehen wie sie aussehen, warum Filmförderungen
funktionieren wie sie funktio-nieren, warum Redakteure sich verhalten
wie sie sich verhalten. Alles aus Angst. Dabei gibt es gar keinen Grund
für diese Angst. Leider gibt es diese Angst auch bei den Leuten,
die die Filme drehen. Überall herrscht diese unheimliche Angst. Anstatt
das Leben als eine Chance zu begreifen, anstatt aufgrund der Tatsache,
daß wir sterben werden, jeden Tag als Möglichkeit zu sehen,
etwas zu setzen und zu versuchen, wirklich mit unseren Möglichkeiten
umzugehen, ist alles fürchterlich eingegrenzt, klein gemacht, zaghaft.
Alle haben Angst, zu versagen, etwas in die Fresse zu bekommen von Kritikern
oder wem auch immer. Doch jeder sollte alles versuchen können. Manchmal
gelingt es, manchmal gelingt es nicht. Manchmal bleibt von einem Versuch
etwas sehr Wichtiges übrig, auch wenn er gescheitert ist. Nicht jeder
Film muß ein Erfolg sein. Außerdem müßte erst einmal
definiert sein, was Erfolg eigentlich ist. Ein kommerzieller Misserfolg
kann ein künstlerischer Erfolg sein, was für jemanden wichtiger
sein kann. Einfach etwas auszuprobieren und zu riskieren, um etwas über
sich herauszufinden, herauszufinden, was man mit dieser Kunst überhaupt
will - das wäre so wesentlich. Auch wenn einer seit zwanzig Jahren
Filme dreht, kann er noch etwas ausprobieren und muß sich nicht
auf das verlassen, was er zwanzig Jahre lang getan hat, wodurch alles
am Ende steril wird und öde und tot. Ich könnte mir vorstellen,
daß die Angst auch eine große Illusion ist....
E. R.: Vielleicht ist sie auch etwas Vorgeschobenes,
die einem eine Berechtigung gibt, nicht kühn zu sein.
F. K.: Ich glaube, die Angst existiert, weil alle daran glauben. Es ist
sehr schwer, keine Angst zu haben, wenn einem drumherum alle Angst machen
und einen die ganze Zeit bedrohen. Das Absurde ist nur, daß die,
die drohen, auch Angst haben, deswegen drohen sie ja. Die Drohung mit
dem ökonomischen Knüppel ist dabei die erfolgreichste. Wenn
die Leute keine Angst haben müssten, finanziell nicht überleben
zu können, würden sie eventuell auch mutigere Filme drehen.
E. R.: Wie stellst Du Dir das vor, zu
sich selber zu finden, um die Angst zu überwinden. Eine Art Psychotherapie?
F. K.: Nein, es erfordert einfach Mut, sich für sich selbst zu öffnen,
sich wahrzunehmen und sich zuerst natürlich anzunehmen und zu sagen:
"Gut, das ist alles Teil von mir, auch dieser Mist ist in mir, auch
dieser Schleim ist in mir, diese Scheiße ist in mir." Wir sind
alle voller Scheiße, und das nicht irgendwie wegzudrücken und
andauernd zu idealisieren und besser sein zu wollen als die anderen, ist
vielleicht ein Weg. Wenn ich das bei mir akzeptiere, dann kann ich es
auch beim anderen akzeptieren. Dann habe ich es nicht nötig, andauernd
drauf zu schlagen, wenn einer mal was tut, das mir nicht paßt. Ich
kann sehen: Ach, der ist im Grunde genauso verloren wie ich. Da gibt es
keinen Grund, zuzuschlagen, keinen Grund, ihn zu korrigieren. Dieser Gedanke
ist auch für meine Arbeit sehr wichtig. Ich versuche nicht, die Menschen,
die in meinen Filmen agieren, moralisch zu bewerten. Ich zeige einfach,
daß sie so sind. Und wenn einer – nehmen wir den Akkordeonspieler
in "Verhängnis" – die Tür eintritt und die Frau
schlägt, dann sage ich damit selbstverständlich nicht, daß
er ein "böser" Mensch ist, sondern daß der das tut.
Und er tut das, weil es bestimmte Gründe dafür gibt, weil er
vielleicht dahin getrieben wird, weil er vorher erniedrigt wurde, weil
irgendetwas mit ihm und seinem Leben geschah. Und davon erzählt der
Film. Natürlich versuchen alle Menschen, glücklich zu sein.
Aber es gelingt uns nicht so leicht. Der Weg dahin ist versperrt, der
Schlüssel, der die Tür öffnen könnte, verloren. Alle
sind auf der Suche nach diesem Schlüssel. Es hat für mich aber
keine negative moralische Qualität, wenn Menschen auf diesem Weg
sich verirren oder aggressiv werden oder Dinge tun, die sie noch weiter
von dem entfernen, was sie eigentlich suchen. Es geht darum, es darzustellen.
Das meinte ich vorhin mit: Ich will eigentlich nur von Menschen erzählen
und von ihren Leben. Das klingt vielleicht banal und aufgeblasen und nichtssagend,
da wohl jeder behaupten würde, von Menschen und vom Leben zu erzählen,
aber ich meine es in diesem Sinne: einfach beschreiben. Das hat mit der
Distanz zu tun, über die wir sprachen. Einen beschreibenden Blick
einzunehmen, Licht darauf zu werfen und es sich anzusehen. So ist das.
Ob mir das paßt oder nicht, eben unabhängig davon, ob mir gefällt,
was ich da sehe. Es gibt ja oft diesen völlig absurden Versuch, jemanden
über die Filme, die er gedreht hat, zu beurteilen, also nur weil
in einem Film ein Mann eine Frau zusammenschlägt, zu glauben, der
Regisseur sei ein "Macho-Arschloch" und ein Schläger. Das
ist selbstverständlich absurd, banal und sehr kurz gedacht. Ich zeige
in meinen Filmen nicht Dinge, von denen ich glaube, daß sie gut
sind, sondern von denen ich weiß, daß sie als existentielle
menschliche Probleme vorhanden sind. Das zu beschreiben, zu versuchen
herauszubekommen, was der Mensch ist, kann eine wichtige Aufgabe für
ein Kunst wie den Film sein. Dafür ist es wichtig, hinzusehen. Seit
es den Menschen gibt, versucht er sich über das Anschauen von Bildnissen
von Menschen seiner selbst zu vergewissern. Warum malt der Mensch Porträts
vom Menschen? Über die Kunst versucht sich der Mensch selbst zu verstehen
und sich dadurch weniger unheimlich zu werden. Allein schon der Handabdruck
in der steinzeitlichen Höhle von Lascaux ist der Versuch einer Selbstvergewisserung.
Das kann auch Film leisten. Ich begreife Film als eine Möglichkeit,
genau das zu tun. Das ist nichts weiter als Höhlenmalerei. Meine
Filme sind Bildnisse des Menschen.
E. R.: Natürlich tut der Zuschauer
einen großen Teil dazu. Ich kann die Menschen in Deinen Filmen nur
mit großer Anteilnahme, ja Erschütterung verfolgen. Ich verstehe,
daß sie nicht anders können als sich so und so zu verhalten,
selbst wenn sie manchmal abstoßend reagieren, so wie man es nicht
will. Aber ich weiß, daß andere Leute das anders sehen und
Deine Filme grausam finden.
F. K.: Es kommt auf die Vertiefung des Menschlichen an. Und wo es um die
Vertiefung des Menschlichen geht, kommt man immer in der Erschütterung
an.
Der Mensch ist auch grausam. Und letztlich gibt es keinen Weg daran vorbei,
uns klar anzusehen, wenn wir nicht immerfort von einem Unglücklichsein
in das nächste fallen wollen. Uns die Welt und uns selbst schön
zu träumen wird nichts verändern. Irgendwann muß man aufhören,
sich etwas vorzumachen. Spätestens wenn wir sterben, werden wir unser
Leben klar vor Augen haben, und es wird unendlich schmerzen, erkennen
zu müssen, daß wir mit Illusionen versucht haben, uns vor uns
selbst und dadurch letztlich auch vor unserem Leben zu drücken. Eine
Maske nach der anderen wird fallen, doch dann wird es zu spät sein.
Es wird definitiv irgendwann zu spät sein, etwas zu ändern.
Und wir wissen nicht, wann das sein wird. Daher sollten wir es sofort
tun. Jetzt, nicht später die Augen öffnen und hinsehen. Auf
einer intellektuellen Ebene wissen wir, daß wir sterben werden,
dennoch sind wir uns des Todes nur oberflächlich bewußt. Da
unser intellektuelles Wissen unser Herz nicht berührt, denken wir
jeden Tag: "Ich werde heute nicht sterben." Das ist eine Täuschung.
Denn natürlich könnte jeder von uns heute sterben. Die Lebenszeit
nimmt nicht zu, sondern ab. Wir eilen unerbittlich auf den Tod zu. Schon
einen Moment nach unserer Geburt ist ein Teil unserer Lebenszeit verstrichen.
Wir leben in der Umarmung des Todes. Wir werden sicher sterben. Doch das
muß uns nicht in Schrecken versetzen. Es sollte uns aufwecken.
Und ich stelle mir den Zuschauer als einen
kreativen Partner, also nicht als jemanden, der konsumiert, etwas reingestopft
bekommt und dann ja und amen sagt, sondern der auch Unbequemes erst einmal
annimmt, sich damit auseinandersetzt, nicht sofort die Augen schließt,
wenn etwas gezeigt wird, das seinen idealisierten Vorstellungen vom Menschen
nicht entspricht, eben auch nicht seiner völlig idealisierten Vorstellung
von sich selber. Ein Film kann eine Enttarnung sein, ein Blick hinter
den Schleier. Ich versuche, eine Art transzendentalen Wirklichkeitssinn
zu entwickeln.
Es ist gräßlich, wenn ein Film oder überhaupt Kunst nur
noch Bestätigung der immer gleichen Ideologien und Illusionen und
Lügen ist. Natürlich ist es anstrengend, sich selbst anzuschauen.
Das heißt aber nicht, daß es schlecht ist. Es ist eine Krankheit
in unserer Gesellschaft, alles, was eine Anstrengung erfordert, zu disqualifizieren,
anstatt sich bewußt zu werden, daß man Dinge auch so sehen
kann, eine kreative Neugier zu haben, eine Offenheit, und, wenn jemand
in einem Film einen Standpunkt vertritt, der einem fremd ist, trotzdem
zu sagen: "Aha, das kann man also auch so sehen, ist ja interessant."
Das hat etwas mit Kommunikation mit Menschen zu tun. Auch wenn ich jemanden
am Tisch mir gegenüber habe, ist doch die Frage, ob ich bereit bin,
ihm zuzuhören und vielleicht über seine Haltung zu staunen und
zu verstehen, daß die Tatsache, daß er etwas anders sieht
als ich, eigentlich nur belegt, daß es möglich ist, etwas auch
auf eine andere Weise zu sehen. Vielleicht ist auch etwas daran, das meinen
Standpunkt relativieren und mir einen neuen Blick geben kann. Oder ob
ich gleich sage: "Der hat eine andere Haltung, der ist Scheiße,
der muß weg, am besten, man verweist ihn vom Tisch." Für
mich gibt es da keinen Unterschied zwischen dem, wie Leute im Kino mit
einem Film umgehen oder mit Menschen auf der Straße oder in ihrer
Umgebung, in ihrem Leben. Es ist letztlich dieselbe Haltung.
Filmkultur
E. R.: Nun gibt es verschiedene Auffassungen von Film. Nicht jeder teilt
die Deinige. Zum Beispiel kenne ich die Meinung, daß sich Film prinzipiell
von den traditionellen Künsten insofern unterscheidet, als dieses
Medium sozusagen per se die Notwendigkeit enthält, ein großes
Publikum erreichen zu müssen. Sollte man beim Film wie bei anderen
Künsten auch eine Art Unterscheidung von "U" und "E"
vornehmen?
F. K.: Das ist doch Quatsch, daß ein Film per se die Notwendigkeit
enthält, ein großes Publikum zu erreichen. Diese Notwendigkeit
ist dieser Kunst nicht immanent. Die ist von außen in sie hineingetragen
worden, weil sie sich besonders dafür eignet, und weil auf Grund
der hohen Kosten, die viele Filme erzeugen, plötzlich auch der Druck
entsteht, das Geld wieder zurück zu bekommen. Das Problem entsteht
aber dadurch, daß erstens die Filme so teuer produziert werden,
was nicht notwendig so sein muß, und daß zweitens nicht nur
das ausgegebene Geld zurückfließen, sondern ein Profit entstehen
soll, sich jeder eingesetzte Euro also vermehren soll.
Ich glaube nicht, daß man Film künstlich
in zum Beispiel "U" und "E" unterteilen sollte. Jede
Art von Schublade ist etwas, was ich nicht mag. Aber man sollte dem Film
genauso wie den anderen Künsten zugestehen, daß es innerhalb
dieser Kunst Unterscheidungen, unterschiedliche Herangehensweisen gibt.
Und wenn ich - nehmen wir ruhig wieder ein Beispiel aus der Musik - in
ein Konzert mit einem Werk von Dmitri Schostakowitsch gehe, kann ich nicht
dasselbe erwarten wie von einem Song von Madonna und dann dasitzen und
den Abend Scheiße finden, weil das Werk länger ist als drei
Minuten zwanzig und weil kein Synthesizer oder keine E-Gitarre darin vorkommt.
Ich kann nicht mit dem Kriterium, mit dem ich Pop-Songs beurteile, eine
Symphonie von Schostakowitsch bewerten. In den anderen Künsten macht
man ja auch diese Unterscheidung und billigt zum Beispiel der Musik zu,
ganz unterschiedlich zu sein, daß es etwa neben der neuen CD von
Madonna auch eine neue Aufnahme der 10. Symphonie von Mahler gibt. Das
Interessante und Traurige ist, daß im Film dieses andere Beurteilungskriterium
nicht existiert. Da ist es so, als würde man jede Art von Musik nach
Kriterien beurteilen, die man an die Popmusik anlegt. Es gibt durchaus
Filme, in deren Vorstellung man mit der emotionalen Haltung gehen müßte,
mit der man - auf die Musik bezogen - die Aufführung eines Requiems
besucht, zum Beispiel von Mozart oder von Verdi oder von Ligeti, und das
vorher auch weiß. Den Film "Spiegel" von Tarkowski zum
Beispiel und einen Mainstreamfilm aus Hollywood kann man nicht mit demselben
Maßstab messen. Ich kann auch nicht von "Spiegel" verlangen,
daß er dieselben Besucherzahlen erreicht wie der Mainstreamfilm
aus Hollywood. Aber wenn man das ignoriert, schneidet "Spiegel"
von Tarkowski natürlich schlecht ab. Das ist nicht nur ungerecht,
sondern absurd und geradezu idiotisch. Im Film erscheint es unmöglich,
daß das "andere" Kino, das Kino jenseits des populären,
einen gleichberechtigten Raum hat.
E. R.: Welche Ursachen siehst Du für
diesen Zustand?
F. K.: Es liegt meines Erachtens daran, wie Film öffentlich behandelt
wird. In Deutschland existiert eine ziemliche Abwesenheit von Auseinandersetzung
mit der Filmkunst. Es gibt keine Filmkultur, es wird lediglich mühselig
versucht, eine Filmindustrie zu behaupten. Es ist eine Ödnis, eine
absolute Wüste. Damit hängt zum Beispiel das seltsame Dogma
des "Happy End" zusammen. Wo kommt das eigentlich her, daß
ein Film danach beurteilt wird, ob er ein "Happy End" hat oder
nicht. "Happy End" - ein englisches Wort, für im Deutschen
"Glückliches Ende" heißt. Die Forderung ist also,
daß ein Film ein "Glückliches Ende" hat. Das ist
doch absurd. Ohne "Happy End" bekommt man ein Filmprojekt mit
Fernsehredaktionen schon fast gar nicht mehr realisiert. Ich könnte
Hunderte Beispiele aufzählen von Stücken ohne "Happy End",
die dennoch keine schlechten Stücke sind. Die Tragödie scheint
aber dem Theater vorbehalten. Das Dogma des "Happy End", das
Dogma der Form, das Dogma der Einstellungslänge, das Dogma der Gesamtlänge,
das Dogma der Worthaltigkeit eines Filmes - was wenig Text hat, ist auch
schon schwierig -, all das hindert diese Kunst am Wachsen. Letztlich ist
alles von Dogmen vergiftet, was ein kreatives Arbeiten im Kino schwer
macht. Mit jemandem, der an einer entscheidenden Position sitzt und sich
an seinen absurden, gehaltlosen, rein auf Spekulation basierenden Dogmen
festhält, die er nicht einmal begründet, ist leider kaum eine
Auseinandersetzung möglich. Es geht dabei nur um die Einhaltung äußerer
Regeln, die aber von nirgendwoher abzuleiten sind. Gerade das Fernsehen
könnte sich erlauben, andere Formen des Films zu verbreiten. Es ist
ja nicht abhängig von Besucherzahlen wie das Kino. Fernsehen könnte
ein sehr interessanter weiter Raum sein, in dem viel, sehr viel möglich
wäre.
E. R.: In den 60er und 70er Jahren soll
es dieses innovative Fernsehen ja in der Bundesrepublik gegeben haben.
F. K.: Und gerade da ist es heute nicht möglich. Die Argumente, die
von da kommen, sind haarsträubend. Wenn es in der Gesellschaft kein
Bewußtsein für die Möglichkeiten von verschiedenen Formen
gibt, die nebeneinander existieren können, wenn eine Monokultur angestrebt
wird, die letztlich zu einer Verwüstung führt, dann kann auch
nichts passieren. Voraussetzung wäre der Wille, etwas anderes haben
zu wollen, etwas anderes zu fördern, etwas anderes zu zeigen. Da
der Wille nicht da ist, eine andere Art von Kino zu verbreiten, lautet
die Argumentation derer, die Filme finanzieren, daß es dafür
keinen Markt gebe. Dieses System versucht krampfhaft, sich permanent selbst
zu bestätigen. Man behauptet, daß der Zuschauer ein Idiot ist,
der immer das Gleiche sehen will. Das ist für mich ein fürchterlicher
Zynismus, weil es den Menschen die Möglichkeit nimmt, etwas anderes
zu sehen und sie eindimensional auf einer Ebene gefangen hält: Wiederholung
des immer Gleichen auf dieselbe Art. Gerade in Deutschland ist es so:
Da gibt es einen Film, der ein Kassenerfolg wird, der so und so funktioniert,
und dem rennen dann alle hinterher, und jeder muß in dieser Art
einen Film herstellen, für eine Saison. Und gelingt dann einige Zeit
später einem anderen, etwas zu produzieren, das Geld bringt, müssen
alle Filme wieder nach diesem Muster gestrickt sein. Es gibt keine erkennbare
Richtung, wo man sagen könnte, die Filmförderungen X, Y oder
Z verfolgen etwas ganz Bestimmtes. Es gibt keine Vision. Das macht auch
Entscheidungen von Fördergremien so undurchschaubar. Letztlich ist
für mich dieser mangelnde Mut nicht nachvollziehbar. Ich glaube,
jede Art von Kreativität hat in hohem Maß mit Risikobereitschaft
zu tun und mit Glauben und Vertrauen. Wer hat denn gesagt, daß Kultur
einfach ist.
E. R.: Kultur muß manchmal anstrengend
sein.
F. K.: Sie muß nicht anstrengend sein, aber sie muß anstrengend
sein dürfen. Und in der Anstrengung liegt auch ein Genuß. Ich
zum Beispiel genieße es sehr, wenn ich mich bemühen muß,
wenn ich etwas lese, sehe oder höre, was eine Konzentration von mir
erfordert, eine Hingabe, ein Eindenken, und mich nicht nur einlullt und
mich in meiner Position bestärkt. Alles, was von mir eine gewisse
Anstrengung erfordert, läßt mich wachsen und verhindert eine
Stagnation. Ach die Begegnung mit "schwierigen" Menschen. Eine
Kultur, die auf einfachstem Niveau immer wieder dasselbe repetiert, stagniert.
Das ist unfruchtbare Onanie. Es gibt genug Menschen, die bereit sind -
das siehst Du in anderen Künsten - sich einer Anstrengung auszusetzen.
Daß das dem Filmpublikum abgesprochen wird, ist seltsam. Derselbe
Mensch, der am Abend in einem Konzert moderner klassischer Musik sitzt,
geht ja auch ins Kino. Warum traut man demselben Menschen, der in der
Lage ist, dieses Konzert zu bewältigen, nicht zu, daß er einen
etwas komplizierteren Film bewältig? Es gibt kein Publikum, das n
n u r Filme sieht, n u r liest, n u r Musik hört, n u r ins Theater
geht. Und wenn Leute in der Lage sind, eine geistige Anstrengung in anderen
Bereichen von Kunst auf sich zu nehmen, müßten sie das doch
im Film genauso tun können.
E. R.: Das könnten sie auch. Aber
sie haben wenig Möglichkeiten, in kleineren Städten noch viel,
viel weniger als zum Beispiel in einer Großstadt wie Berlin.
F. K.: Dabei ist der Film die Kunst des 20. Jahrhunderts. Er wird aber
behandelt wie Büchsenschießen auf dem Jahrmarkt. Das Schreckliche
ist, daß diese nicht durchschaubare Einschränkung oder Angst
oder Blockade viel Schönes verhindert. Viele Stoffe - vieles, das
erzählt, behandelt werden könnte und das von sich aus wert wäre,
filmisch umgesetzt zu werden - scheitern daran. Ja, woran eigentlich scheitern
all diese Dinge, die möglich wären?
E. R.: Steckt nicht in letzter Instanz
das Geld dahinter? In dieser Gesellschaft wird versucht, aus allem Geld
zu machen, aus allem Profit zu schlagen. Der größte Teil der
Filme in der Welt wird ja nur mit dem Ziel produziert, mit ihnen viel
Geld zu verdienen.
F. K.: Aus Geld Geld zu machen, ist ja eigentlich öde. Es ist ja
viel interessanter, aus Geld etwas anderes zu machen, es zu benutzen,
um zum Beispiel Filme damit herzustellen, um ein geistiges Gut damit zu
produzieren. Was ist daran interessant, aus einer Million Euro zwei Millionen
Euro zu machen? Aber es ist sehr interessant, aus einer Million Euro eine
echte Berührung oder Kommunikation zwischen Menschen zu machen. Das
ist viel mehr als zwei Millionen Euro. Was tust Du dann, wenn Du aus Eins
Zwei gemacht hast? Dann versuchst Du, aus Zwei Vier zu machen. Das ist
so, als wenn ich ein Sandkorn zu dem anderen lege und am Ende eine Riesenwüste
vor mir habe. Wenn da nicht mehr draus wird als Geld, wenn kein anderes
Gut, kein anderer Wert geschaffen wird, ist es ja für die Katz, sinnlos,
völlig öde. Das ist eine selbst auferlegte Beschränkung.
Das nimmt den Menschen so viele Möglichkeiten, das zu sein und das
zu tun, was sie eigentlich tun und sein könnten. Leute, die bereit
sind, kreativ zu arbeiten, sich für einige Monate zusammen zu schließen,
um gemeinsam etwas hervorzubringen - das ist etwas Wunderbares und sehr
Wertvolles. Das aber zu beschränken, mit Argumentationen von Wirtschaftlichkeit,
Profit usw. immer wieder zunichte zu machen, ist eine Selbstamputation.
Ja, es ist eine Verstümmelung, sich an diese Argumente zu verknechten.
Traurig. Einfach nur traurig. Es scheint dafür aber keine Lösung
zu geben. Solange Leute daran glauben, daß das so sein muß,
ist es auch so. Es ist im Grunde wie in der Geschichte vom Zauberer von
Oz. Solange die Leute an den Zauberer von Oz glauben, gibt es ihn auch,
und er hat Macht. Auch wenn das nur ein kleiner Zwerg ist, der hinter
einer Leinwand hockt.
E. R.: Könnte es sein, daß
Dich diese Bedingungen eines Tages zwingen werden, Deine Haltung zu verändern?
F.K.: Es gibt einen sehr schönen Satz in der Kabbala: "Es ist
uns nicht gegeben, zu vollenden, aber es ist auch nicht erlaubt, aufzugeben."
Ich werde mein Denken über diese Dinge wahrscheinlich nicht ändern,
aber es ist natürlich möglich, dabei abzustürzen. Was ich
vorhin sagte, als wir über die Notwendigkeit sprachen, in sich selbst
hinabzutauchen, um an den Punkt zu gelangen, wo man Mensch ist, das zu
sagen ist natürlich ziemlich leicht. Doch ich weiß, daß
es schwer ist, sehr, sehr schwer. Vieles, von dem ich spreche, ist auch
von mir noch nicht eingelöst. Ich weiß, daß ich vieles
von dem, was ich anzustreben für mich richtig finde, unter Umständen
nicht erreichen kann, aber es ist wichtig, auf dem Weg zu bleiben. Letztlich
stellt sich doch die Frage, welchen Weg man im Leben geht. Es ist nicht
so sehr der Punkt, an dem man angekommen ist, der zählt, sondern
welchen Weg man gegangen ist.
Die Angst vor dem Anderen, dem Fremdartigen, dem Abweichenden ist ein
großes Problem, sowohl politisch als auch geistig. Die Gesellschaft,
in der wir uns bewegen, ist davon völlig vergiftet. Das sieht man
auch daran, daß es die Vielfalt verschiedenster Möglichkeiten
von Filmen nicht gibt. Wäre doch schön, wenn ich jeden Abend
die Chance hätte, in einem gut ausgestatteten Kino zwischen einem
Mainstreamfilm aus Amerika oder sonstwoher und einem völlig anders
gearteten Film zu wählen. Ich würde mich gerne entscheiden können
für einen von zwei, drei französischen Filmen oder einen von
zwei, drei holländischen oder einen von zwei, drei polnischen. Weil
es interessant ist zu sehen, was in den anderen Ländern in diesem
Bereich getan wird. Wann war zum letzten Mal ein aktueller polnischer
Film im Kino zu sehen? Wann der letzte russische, belgische, holländische
Film? Wie sehen Filme aus, die zur Zeit in Italien gedreht werden? Daß
so etwas keinen Einzug ins normale Kinoprogramm hat, ist fatal. Wir leben
in Europa, sehen aber keine europäischen Filme. Die sind einfach
nicht vorhanden.
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